Die Stadt Wien hat viel Erklärungsbedarf, wie es zur dramatischen Situation bei der Wien Energie gekommen ist.

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Die Versorgung von rund zwei Millionen Strom-, Gas- und Fernwärmekunden von Wien Energie in der Bundeshauptstadt sowie Teilen Niederösterreichs sei trotz der Turbulenzen um das stadteigene Unternehmen sichergestellt. Das sagen nicht nur Vertreter der Stadt und Wien Energie, auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) sicherte zu, dass das auch in Zukunft so sein werde. Als wahrscheinlichste Variante einer Akuthilfe zeichnet sich Folgendes ab: Der Bund gibt dem Land Wien über die Bundesfinanzierungsagentur ein Darlehen über knapp zwei Milliarden Euro. Weitere Hilfen müssten separat beantragt werden.

Frage: Wie ist Wien Energie in die Lage gekommen, den Staat um Hilfe bitten zu müssen?

Antwort: Wien Energie kauft und verkauft Strom am Terminmarkt wie andere Energieversorger auch. Der Verkäufer verpflichtet sich dort, eine bestimmte Menge Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem vereinbarten Preis zu liefern.

Frage: Was ist das Spezielle daran?

Antwort: Die Akteure müssen anders als bei einem bilateralen Geschäft abseits der Börse Bankgarantien stellen. Damit werden Preisentwicklungen abgesichert. Vorige Woche sind die Strompreise regelrecht durch die Decke gegangen, wodurch auch der Besicherungsbedarf massiv gestiegen ist.

Frage: Was ist passiert?

Antwort: Anfang letzter Woche kostete Strom im Großhandel noch 500 Euro je Megawattstunde (MWh). Am Donnerstag ist der Strompreis dann auf 700 Euro und tags darauf kurzzeitig sogar auf über 1000 Euro gestiegen, so hoch wie nie in dem für Österreich relevanten Marktgebiet, hervorgerufen durch die Ankündigung von Gazprom, die Ostseepipeline Nord Stream 1 wegen Wartungsarbeiten ab Mitte dieser Woche für drei Tage stillzulegen. Weil mit Gas Strom erzeugt wird, ist die Entwicklung beim Gaspreis aufgrund der Regel, wonach das gerade noch notwendige und damit auch teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt, für die Preissetzung bei Strom maßgeblich.

Frage: Wieso trifft es Wien Energie so massiv?

Antwort: Als ein möglicher Grund wird genannt, dass Wien Energie hauptsächlich an der Börse handelt, wo die Positionen laufend ausgeglichen werden müssen. Zudem scheint das städtische Unternehmen mit seiner relativ geringen Eigenkapitalquote von 21 Prozent besonders verwundbar zu sein. Die meisten anderen Energieversorger sind deutlich besser mit Eigenkapital ausgestattet. Es könnte aber auch sein, dass auch andere Energieversorger trotz diverser Dementis zu kämpfen haben. Die E-Control soll sich im Auftrag der Regierung die Finanzlage genauer ansehen.

Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) beziffert den Finanzbedarf von Wien Energie zur Absicherung der Termingeschäfte mit sechs, schlimmstenfalls zehn Milliarden Euro.
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Frage: Um wie viel Geld geht es bei Wien Energie?

Antwort: Knapp 1,8 Milliarden Euro hat die Stadt Wien zur Absicherung der Termingeschäfte gerade noch selbst zusammenkratzen können, nachdem sie seit Akutwerden des Problems bereits zweimal 700 Millionen Euro zugeschossen hat. Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) hat am Montag noch von einem Finanzbedarf in der Höhe von sechs Milliarden Euro gesprochen, der auf bis zu zehn Milliarden anwachsen könnte, sollten die Märkte weiter verrückt spielen. Zwei Milliarden davon wären kurzfristig notwendig. Weil der Strompreis zwischenzeitlich wieder unter 1000 Euro gesunken ist, habe Wien Energie Dienstagfrüh eine Gutschrift über 798 Millionen Euro erhalten, sagt Hanke. Dennoch bleibe die Dringlichkeit einer Kreditlinie bestehen, weil sich der Markt rasch wieder drehen könne.

Frage: Was genau hat Wien Energie bei diesen Geschäften gemacht?

Antwort: Das Unternehmen hat seine künftige Stromproduktion auf dem Terminmarkt verkauft und sich im Gegenzug über Futurekontrakte mit vergleichsweise günstigem Gas eingedeckt. Aus dem Verkauf kommen offenbar die Nachschussverpflichtungen, die sogenannten Margin-Calls. Das ist eine Art Warnung, die an den Verkäufer, im konkreten Fall Wien Energie, ergeht, dass das auf ihrem Konto hinterlegte Kapital unter den zum Offenhalten der Position benötigten Mindestbetrag gefallen ist und auszugleichen ist. Das ändert sich täglich. Dass Wien Energie bei den Gaskontrakten offenbar beachtliche Gutschriften erhalten hat, kann nicht mit den Sicherheiten bei den Stromdeals gegengerechnet werden.

Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP): Wien Energie soll über die Bundesfinanzierungsagentur Öbfa als Akuthilfe ein Darlehen über knapp zwei Milliarden Euro erhalten.
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Frage: Wieso verkauft Wien Energie Strom, den sie für ihre eigenen Kunden benötigt?

Antwort: Nicht nur Wien Energie, alle namhaften Stromversorger verkaufen die Eigenerzeugung, sichern sich so am Terminmarkt einen fixen Preis und kaufen den Strom für ihre Kunden zu, exakt nach dem Verbrauchsprofil. Ohne Einsatz dieser Instrumente würden Produktion und Verbrauch auseinanderklaffen. Eine Eigenart des Strommarktes ist, dass zu jeder Zeit genauso viel Strom vorhanden sein muss, wie konsumiert wird.

Frage: Warum verkauft Wien Energie mehr Strom an der Börse, als sie selbst produziert?

Antwort: Strom wird nicht nur ein Jahr, sondern mitunter zwei oder drei Jahre im Voraus verkauft, was den Überhang erklären könnte. Um Näheres zu wissen, müsste Wien Energie die Hedgingstrategie offenlegen. Bisher schweigt sich das Unternehmen darüber aus.

Frage: War Spekulation im Spiel?

Antwort: Dieser Frage wird der Rechnungshof nachgehen. Nur wenn jemand verkaufsseitig einen Überhang hat, muss das noch keine Spekulation sein. Wahrscheinlicher ist, dass es ein Versagen des Risikomanagements gibt.

Hat Erklärungsbedarf: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).
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Frage: Was ist mit den hinterlegten Sicherheiten. Kommt das Geld wieder zurück?

Antwort: Ja, aber nur dann, wenn die Positionen nicht vorzeitig aufgelöst werden.

Frage: Was wäre, wenn der Staat nicht einspringen würde?

Antwort: Dann müsste Wien Energie die Geschäfte auflösen und die Verluste realisieren.

Frage: Was ist mit dem Strom für die Kunden?

Antwort: Die fehlenden Strommengen müssten dann höchstwahrscheinlich teuer am Spotmarkt eingekauft werden, was die Kunden wohl über höhere Rechnungen spüren würden.

(FRAGE & ANTWORT: Günther Strobl, 31.8.2022)