Der Braune Japankäfer und die Weißfliege Aleurocanthus spiniferus müssen der EU fernbleiben. Durch die bulgarisch-türkische Grenze im Dorf Kapitän Andreewo fahren jeden Tag etwa 2500 Lastwagen, beladen mit Obst, Gemüse und allerlei anderen Waren, Richtung EU. Die Lastwagen werden zuerst desinfiziert, entladen, die Waren inspiziert, Proben entnommen, und dann werden die Laster wieder beladen. Doch obwohl die Kontrollen der staatlichen bulgarischen Lebensmittelkontrollbehörde (BABH) obliegen, verdienten private Firmen hier jahrelang viel Geld. Der Grenzübergang Kapitän Andreewo wird im Volksmund der "goldene Tümpel" genannt.

Unter der Regierung von Premierminister Bojko Borissow wurden die Kontrollen nämlich teilprivatisiert. Das Unternehmen Interpred Eurologistic, vertreten durch Razmig Chakarijan alias "Ami", der Luxusvillen besitzt, mit kugelsicheren Autos rumfährt und 40 Wachleute beschäftigen soll, sicherte sich im Jahr 2012 nämlich einen Vertrag zum Entladen und Beladen der Laster. Die Lebensmittelkontrollbehörde BABH vermietete der Interpred Eurologistic das Gelände, ein privates Unternehmen bekam also durch staatliche Behörden eine Monopolstellung.

Seit Jahren wird über Korruption an der Grenze gemunkelt. Bisher ist Bulgarien auch noch nicht Schengenmitglied.
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Und Geld, das eigentlich dem bulgarischen Staat zukommen sollte, floss in private Taschen. Die Frachter mussten zunächst für die Desinfektion bezahlen, 250 Euro allein kostete das Entladen und Beladen, dazu kam die Rechnung für die Stichproben zur Pestizidinspektion und fürs Parken. "Die nahmen pro Lastwagen bis zu 750 Euro ein", erzählt Iwan Hristanow, der unter der Reformregierung von Kiril Petkow, die vergangenen Dezember an die Macht kam, Vize-Landwirtschaftsminister war und die Causa aufdeckte.

Hristanow schätzt, dass Interpred Eurologistic "in den vergangenen zehn Jahren etwa 1,5 Milliarden Euro eingenommen" hat. Das Finanzministerium beziffert den finanziellen Schaden durch Korruption an der Grenze auf 2.500 Euro pro Stunde oder fast 22 Millionen Euro jährlich. Und der neue Chef der BABH meint, dass dem Staat etwa 500 Millionen Euro verloren gingen.

Laut den Unterlagen der letzten Jahre, die Hristanow vorliegen, dauerten die Kontrollen im Schnitt nur sechs Minuten, was nicht ausreicht, um Proben zu entnehmen. Im Jahr 2020 überstieg die Anzahl der gemeldeten Labortests die Kapazität des Labors – bis zu 38 Prozent, 2021 sogar zwischen 25 und 211 Prozent. Dies bedeutet, dass allein in den Jahren 2020 und 2021 mindestens 25.700 Tonnen Obst und Gemüse nicht ordnungsgemäß kontrolliert wurden.

Zitronen zurückgeschickt

"Jetzt wo die Kontrollen wieder in staatlicher Hand sind, werden viel mehr Zitronen und Paprika an der Grenze zurückgewiesen als in den Monaten zuvor", erläutert Hristanow. Als "Eurolab 2011", die Nachfolgefirma von Interpred Eurologistic, noch an der Grenze zuständig war, wurden 2022 nur 6.300 Tonnen an Gemüse und Obst die Einfuhr verweigert. Hristanow denkt, dass gerade jene Frächter mit pestizidverseuchtem oder schädlingsbefallenem Obst und Gemüse einen Anreiz hatten, die Kontrolleure zu schmieren und deshalb durchkamen. "Schätzungen zufolge hatten allein im ersten Halbjahr 2022 65.000 Tonnen Obst und Gemüse, die in die EU eingeführt wurden, Pestizidwerte, die über der Norm lagen", sagte Hristanow dem STANDARD. Insgesamt seien von Jänner bis Mai 2022 110.000 Tonnen importiert worden, die nicht den Standards entsprechen. In den letzten zehn Jahren seien es geschätzt zwischen 410.000 bis 440. 000 Tonnen gewesen.

2.500 Euro pro Stunde soll die Finanz in Bulgarien durch Korruption an der Grenze verloren haben.
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Als Premier Petkow im Mai die Grenze inspizierte, musste er feststellen, dass die Kabel der Kameras ins Nirgendwo führten – es gibt also keine Aufzeichnungen, was in den letzten Jahren geschah. Hristanow konnte die Lebensmittelkontrollen im Mai wieder unter staatliche Kontrolle bekommen. Eurolab 2011 darf nicht mehr entladen. Doch das Unternehmen klagte. Und das Oberste Verwaltungsgericht gab der Firma zunächst recht.

Zurzeit werden einige Verfahren geführt. Die Justiz in Bulgarien gilt jedoch als unterlaufen – von Interessen von Privaten und Parteien. Der allmächtige Generalstaatsanwalt Iwan Gešew, ein Vertrauter Borissows, kann praktisch jedes Verfahren bestimmen oder abdrehen. Die drei Beschwerden von Eurolab 2011 sollen ausgerechnet beim Vorsitzenden des Höchstgerichts, Georgi Čolakow, gelandet sein, der zu Geševs Leuten gehören soll.

Und die Regierung Petkow wurde im Juni, nach nur einem halben Jahr, durch den Koalitionspartner gestürzt. Hristanow ist überzeugt, dass seine Partei "Wir setzen den Wandel fort" zu effektiv gegen die Mafia vorgegangen sei und dies der Grund dafür gewesen sei, dass man die alten Verhältnisse wieder herstellen wollte. "Die hatten zehn Jahre lang zuvor einen institutionellen und politischen Schutzschirm um sich", meint er. Tatsächlich schickte der Antikorruptionsfonds (ACF) bereits 2019 der Finanzinspektion und der Staatsanwaltschaft Berichte über die illegalen Vorgänge am Grenzübergang. Doch die Finanzinspektion schrieb, man habe nicht ausreichend Verwaltungskapazitäten verfügbar, um dies zu überprüfen. Und die Staatsanwaltschaft weigerte sich, ein Verfahren einzuleiten, weil "es keine ausreichenden Beweise für ein Verbrechen" gebe.

Kirik Petkow (links) – seine Regierung wurde im Juni nach nur einem halben Jahr gestürzt.
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"Wir waren die Ersten, die es geschafft haben, diese kriminelle Struktur abzuschaffen und das System zu durchleuchten", so Hristanow, der weiterkämpfen will, obwohl er wegen Todesdrohungen unter Polizeischutz steht. Außerdem gab es Versuche, die neue Führung der BABH zu bestechen, um das Geschäft an der Grenze zu behalten. Eine Audioaufnahme wurde geleakt, in der der frühere Chef der BABH dem jetzigen Chef ein "Dokument" in einem Umschlag übergeben wollte.

Zu der Gruppe, die an dem ganzen System verdiente, gehören laut Hristow etwa 30 bis 50 Leute in den Behörden und 50 bis 60 Leute außerhalb. "Die Männer ganz oben an der Spitze haben Autos für 200.000 Euro und können sich ein Haus am Como-See leisten. Die kaufen sich einen Rolls-Royce, so wie Sie sich ein rosa T-Shirt kaufen", beschreibt Hristanow die "Geschäftsleute".

EU-Bericht wird erwartet

Eine Sprecherin der EU-Kommission bestätigt, dass mittlerweile auch die EU-Kommission in der Causa aktiv wurde und im März und Juni Informationen von den bulgarischen Behörden einforderte. Im Jänner 2022 sowie im Juli 2022 entsandte die EU-Kommission zudem Kontrollteams an die Grenze Kapitän Andreewo. Ein Prüfbericht wird in den kommenden Wochen auf der Website der EU-Kommission veröffentlicht.

Vieles wird aber davon abhängen, wer nach den Wahlen am 2. Oktober in Bulgarien an die Macht kommt und ob eine unabhängige Justiz geschaffen werden kann. Auch die Entscheidung darüber, ob pestizidverseuchte Zitronen in die EU kommen, liegt damit nun indirekt bei den bulgarischen Wählern. (Adelheid Wölfl, 31.8.2022)