Vom ersten 700-Millionen-Euro-Darlehen der Stadt Wien an die Wien Energie erfuhr die Öffentlichkeit erst eineinhalb Monate später.

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"Mutmaßlich spekulativ" sind Geschäfte der Wien Energie für Finanzminister Brunner.

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Stadtwerke-Vizechef Weinelt weist Spekulationsvorwürfe vehement zurück.

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Bereits am 15. Juli – also vor eineinhalb Monaten – hat Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) "einen Wiener Schutzschirm aufgespannt", wie er das am Dienstag nannte: Konkret wurde bereits zu diesem Zeitpunkt der Wien Energie ein erstes Darlehen in der Höhe von 700 Millionen Euro genehmigt. Das ist eine riesige Summe, das gesamte Budget der Stadt im Vorjahr betrug 16,2 Milliarden Euro.

Von diesem 700-Millionen-Euro-Darlehen erfuhr die Öffentlichkeit aber vorerst nichts. Ebenso wenig die Wiener Oppositionsparteien ÖVP, Grüne und FPÖ. Selbst die Neos, Juniorpartner der Wiener SPÖ in der Stadtregierung, wurden offiziell im Dunkeln gelassen. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr habe "erstmals am vergangenen Sonntag über die Medien" von der Schieflage der Wien Energie erfahren, sagte ein Sprecher Wiederkehrs zum STANDARD. Von der Haftungsübernahme sei Wiederkehr "nachträglich informiert worden". Aus pinken Rathaus-Kreisen waren am Montag allerdings andere Informationen zu hören gewesen.

Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) als Eigentümervertreter der Wien Energie muss in diese Vorgänge natürlich eingebunden gewesen sein. Am Dienstag sagte Hanke, dass die Stadt bereits Anfang Juli gesehen habe, "dass es schwieriger wird". Er sprach erneut von "verrückten Märkten".

Finanzielle Schieflage seit dem Wochenende öffentlich

Aber erst am vergangenen Wochenende, als sich die Situation rund um die Wien Energie bereits dramatisch zugespitzt hat und der Bund um Milliardenhilfen gebeten wurde, erfuhr auch die Öffentlichkeit von der Misere der Wien Energie. Zum 700-Millionen-Euro-Darlehen vom Juli kam ein weiteres in derselben Höhe am 29. August dazu. Auch hier bediente sich Ludwig der sogenannten Notkompetenz, die in der Stadtverfassung verankert ist. Ludwig habe seine "Möglichkeiten als Bürgermeister ausgeschöpft", sagte er.

Die finanzielle Schieflage der Wien Energie wird aber erst durch den Energie-Gipfel mit der türkis-grünen Bundesregierung am Wochenende bekannt. Auf diesen Umstand nahm Ludwig am Dienstag Bezug: "Hätten wir gewusst, wie die Bundesregierung kommuniziert, hätten wir anders kommuniziert", räumte er ein. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hatte zuvor die Stadt kritisiert, dass diese nicht schon früher über die Probleme der Wien Energie berichtet hatte.

Verbund wies Aussagen von Rendi-Wagner zurück

SPÖ-Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner will selbst erst am Sonntag von den Problemen der Wien Energie erfahren haben. Das sagte sie zumindest im ORF-Sommergespräch am Montagabend. "Der europäische Strommarkt funktioniert einfach nicht mehr in dieser Krise", erklärte die SPÖ-Politikerin und sprang damit den Wiener Genossen zur Seite. Gleichzeitig brachte sie den Verbund gegen sich auf: Rendi-Wagner deutete nämlich an, dass bald auch andere Versorger in finanzielle Schieflage geraten könnten. Der Verbund wies diese Aussage am Dienstag prompt zurück und appellierte gar an die SPÖ-Chefin, "unternehmensschädigende Aussagen zu unterlassen".

Wien Energie weist Spekulationsverdacht zurück

Finanzminister Brunner meinte hingegen am Dienstag, dass die Wien Energie "mutmaßliche Spekulationen an der Energiebörse gemacht und Strom und Gas gegeneinander verkauft" habe. Diesen Verdacht wies Stadtwerke-Vizechef Peter Weinelt, der auch Aufsichtsratschef der Wien Energie ist, zurück. "Es gibt keinen Leerverkauf", sagte er. Die Wien Energie habe viel Liquidität gebunden, da man die eigenen Gasspeicher bereits zu mehr als 91 Prozent gefüllt habe. Das sei über dem österreichischen Ziel von 80 Prozent.

Prüfer nehmen Wien-Energie-Causa ins Visier

Stadtchef Ludwig kündigte eine Sonderprüfung der Organe von Wien Energie und Stadtwerken durch den Stadtrechnungshof sowie externe Gutachter an. Es gebe "nichts zu verbergen", sagte Ludwig, auch die Kritik an fehlender Transparenz wies er zurück. Die bisher getroffenen Maßnahmen seien "gut und wichtig" gewesen. Prüfen wird die Causa Wien Energie auch der Bundesrechnungshof: Dieser will sich den Ursachen der Entwicklung und vor allem dem akuten Finanzbedarf widmen. "Die finanzielle Lage, der Finanzbedarf und die Transparenz im Lichte der Versorgungssicherheit werden zentrale Fragen sein", hieß es.

Die Oppositionsparteien wollen die SPÖ mit Mitteln der parlamentarischen Kontrolle in die Zange nehmen. Wiens Grünen-Chef Peter Kraus ließ mit der Ankündigung aufhorchen, die ÖVP zu Gesprächen über die Einsetzung einer Untersuchungskommission zur Causa zu bitten. "Warum hält man einen Schutzschirm so lange geheim?", fragte Kraus. Und ÖVP-Chef Karl Mahrer befand, dass man "verkrampft" versuche, den Eindruck zu erwecken, es sei nichts passiert. Dabei sei offenbar das Problem seit langem bekannt gewesen. "Es ist eine völlige Missachtung der demokratischen Gremien in Wien, solch horrende Summen einfach freizugeben."

FPÖ prüft Anzeige gegen Ludwig und Hanke

Einer U-Kommission kann auch die FPÖ etwas abgewinnen, der Wiener Parteichef Dominik Nepp bezeichnete die Krise der Wien Energie als "größten Finanzskandal" der Stadt. Zusammenarbeiten müssten die Oppositionsparteien dafür jedenfalls: Keine von ihnen hat genug Sitze, um alleine eine U-Kommission zu beantragen. Die Wiener FPÖ prüft darüber hinaus eine Anzeige gegen Ludwig und Hanke wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs. (David Krutzler, Stefanie Rachbauer, 30.8.2022)