Was ist schiefgelaufen bei Wien Energie? Laut dem zuständigen Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke und Bürgermeister Michael Ludwig (beide SPÖ) sind die "verrückten" Preisausschläge am Strommarkt für die Probleme verantwortlich. Wien Energie habe nicht spekuliert.

Foto: Imago / Sepa Media / Martin Juen

Zwei Tage lang hat er geschwiegen, am Dienstag hat sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zur Causa prima, der Schieflage bei Wien Energie, zu Wort gemeldet. Schon das Setting sollte vermitteln: Es mag eine ernste Situation sein, mit der Wiener Stadtregierung hat die ganze Sache aber wenig zu tun.

Zur Pressekonferenz geladen hatte Ludwig nicht etwa ins Rathaus, sondern in den Orbi Tower der Wiener Stadtwerke.

Knapp und bündig war dann die Erklärung des Bürgermeisters zur Affäre. Nicht die Stadt oder der Energieversorger hätten etwas falsch gemacht, sondern die Energiemärkte spielten verrückt. Die Versorgungssicherheit der Wienerinnen und Wiener sei nicht gefährdet. Und: Wien Energie sei ein solide aufgestelltes Unternehmen, wie auch der rote Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke und der Aufsichtsratschef des Unternehmens, Peter Weinelt, bei dem Termin betonten.

"Städtischer Schutzschirm"

In der Causa geht es inzwischen um zwei relevante Fragen: Hat Wien Energie an den Energiebörsen im großen Stil spekuliert und fährt deshalb möglicherweise enorme Verluste ein? Und ebenso relevant ist zweitens die Frage nach der politischen Verantwortung: Warum hat der Bürgermeister Wien Energie bereits zweimal Notkredite gewährt, ohne die Öffentlichkeit zu informieren?

Zur zweiten Frage lieferte das Pressegespräch wenig Aufklärung. Ludwig führte aus, dass er bereits zwei Notkredite in Höhe von insgesamt 1,4 Milliarden Euro genehmigt habe, um einen Schutzschirm über den städtischen Versorger zu spannen.

Aber warum wurde das nicht öffentlich diskutiert und transparent gemacht? Hier geht es um gewaltige Summen. Der gesamte Schuldenstand der Stadt Wien beträgt neun Milliarden Euro. Ginge der Kredit verloren, würde der Schuldenberg per Federstreich massiv ansteigen. Ludwigs Antwort auf die Frage nach der Informationspflicht: Er verweist auf die Wiener Stadtverfassung. Dort ist geregelt, dass in "dringlichen Fällen" der Bürgermeister berechtigt ist, allein zu entscheiden und den Gemeinderat erst im Nachhinein zu informieren, um sich eine Genehmigung einzuholen. Das Ganze soll nun im September geschehen. Auch Nachfragen, warum ein Staatsgeheimnis daraus gemacht wurde, blieben unbeantwortet. Ob er es wieder so machen würde, wird Ludwig gefragt. Was sein eigenes Vorgehen betreffe, ja, sagt er, um sodann Kritik an der Bundesregierung zu üben: Dort sei die Causa an die Medien mit eigenem Spin verbreitet worden. Hätte die Stadt dies gewusst, hätte sie anders agiert.

"Keine Leerverkäufe"

Detaillierter versuchte da schon Wien-Energie-Aufsichtsratschef Peter Weinelt zu erklären, warum Wien Energie seiner Ansicht nach keine Spekulationsgeschäfte an der Börse getätigt habe. Die Erklärung lautet so: Die Strombörsen nutzten Energieversorger dazu, Strom zu kaufen und zu verkaufen, um Schwankungen in der Produktion mit dem Verbrauch auszugleichen. Jede Megawattstunde Strom werde im Schnitt sieben- bis zehnmal verkauft, bis sie auch verbraucht werde, am Markt. In Wien schwanke die Stromerzeugung allein schon deshalb, weil die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) – also jene Kraftwerke, die mit Gas Strom und Fernwärme erzeugen – nur in den Monaten Jänner bis März und dann wieder von Oktober bis Weihnachten laufe. Wenn der dort produzierte Strom überschüssig sei, werde er verkauft, wenn zu wenig vorhanden sei, werde Strom eingekauft.

Wien Energie habe also mitnichten sogenannte Leerverkäufe getätigt, also Strom verkauft, den die Werke gar nicht selbst herstellen und der dann teuer eingekauft werden muss. Auch Wien Energie betonte, dass an den Börsen aktuell 4,48 Terawattstunden Strom bis Ende 2024 im Verkauf sind, was nicht einmal einer Jahresproduktion an Strom entspreche.

Fest steht, dass Wien Energie immens erhöhte Nachschussverpflichtungen gedroht haben und drohen könnten. Das Unternehmen muss an der Börse Geld zur Sicherheit hinterlegen, und zwar für Strom, den der Konzern verkauft hat. Wie hoch die Summen sind, hängt massiv von der Preisentwicklung an den Energiemärkten ab. Durch die Sicherstellung wissen Käufer, dass Wien Energie bei Bedarf tatsächlich in der Lage ist, Strom am Markt zuzukaufen und zu liefern.

Daraus sollen sich auch die stark unterschiedlichen Summen ergeben, die nun dazu kursieren, was Wien Energie tatsächlich braucht. So war zunächst die Rede davon, dass Wien Energie bereits für diese Woche hohe Summen benötigt: Von zwei Milliarden Euro kurzfristig war laut Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) die Rede und insgesamt von sechs Milliarden Euro.

Hilfe in Etappen

Der zuständige Wiener Stadtrat Peter Hanke sagte aber am Dienstag, dass der aktuelle starke Rückgang des Strompreises für Lieferungen im Jahr 2023 dem Unternehmen helfe. Die Preise für Strom fallen seit Wochenbeginn, nachdem die EU-Kommission eine Marktintervention angekündigt hat. Derzeit treffe Wien Energie gar keine Verpflichtung, Geld als zusätzliche Sicherheit zu hinterlegen. Das könne sich ändern, sollten die Strompreise erneut stark steigen wie vergangenen Freitag. Daher stehe man in Verhandlungen mit der Bundesregierung für eine Kreditlinie.

Die Rettung soll nun in Tranchen erfolgen und sieht in groben Zügen so aus: Der Bund gibt dem Land Wien im Wege der Bundesfinanzierungsagentur Öbfa ein Darlehen in der Größenordnung von zwei Milliarden Euro. Mit diesem Geld rettet Wien sein Urenkelkind Wien Energie. Wenn es wieder eng wird, muss Wien wieder betteln kommen, erzählt ein Involvierter.

In der "ZIB 2" am Dienstag bestätigte Finanzminister Magnus Brunner, dass die Verhandlungen auch in den späten Abendstunden noch am Laufen waren. Den kurzfristigen Kreditbedarf der Wien Energie binnen 24 Stunden bezifferte Brunner auf zwei Milliarden Euro. Insgesamt gehe es um sechs Milliarden Euro. Bedingung dafür sei aber "transparente Aufklärung" der Termingeschäfte, die den Wiener Energieversorger ins Wanken gebracht hatten. (András Szigetvari, Luise Ungerboeck, red, 31.8.2022)