Der deutsche Essayist Hans Magnus Enzensberger nannte ihn einen "Helden des Rückzugs". Michail Gorbatschow wusste, dass die riesige Sowjetunion – mit einem Drittel des BIP der USA – ein Fall von imperialer Überdehnung war. Deshalb zog er aus Afghanistan ab, schloss mit Reagan ein Atomwaffenabkommen, unterdrückte die Freiheitsbewegung in Osteuropa nicht und erlaubte die deutsche Wiedervereinigung.

Michail Gorbatschow scheiterte im Inneren am einbetonierten System Russlands.
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Im Inneren scheiterte er daran, dass ein einzelner Mensch ein so einbetoniertes System nicht ändern konnte, auch nicht mit der Macht seiner kommunikativen Offenheit (Glasnost). Bei einem Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky (es ging um den EU-Beitrittsantrag) sprach er uns wartende Journalisten einfach an. Aber der freie Diskurs hatte und hat in Russland keine Tradition, da ging und geht es immer nur um Machtausübung, um die klassische Frage Lenins: "Wer – wen?"

Ein unglaublicher Moment, als Boris Jelzin, Präsident der russischen Teilrepublik, den bereits geschwächten Staatspräsidenten Gorbatschow auf offener Bühne überrumpelte und vor ihm das Verbot der KP in Russland unterzeichnete.

Für den Umbau (Perestrojka) fehlten die mentalen Voraussetzungen. Das Ergebnis ist Putins Russland. Vielleicht – vielleicht – ändert sich etwas, wenn der Krieg auch die inzwischen gewachsene städtische Mittelschicht erreicht. Aber Gorbatschow kann das nicht mehr erleben. (Hans Rauscher, 31.8.2022)