Der vierte Stich wird jetzt für alle empfohlen.

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Wien – Bisher wurde die vierte Corona-Impfung nur über 60-Jährigen und anderen Menschen mit erhöhtem Risiko einer schweren Covid-Erkrankung empfohlen. Nun ist das österreichische nationale Impfgremium (Nig) von dieser Linie abgekommen.

.Jeder und Jede solle sich den Auffrischungsstich holen – wenn er oder sie älter als 12 Jahre ist und die dritte Impfung mindestens vier Monate her ist, sagte Herwig Kollaritsch, Infektiologe und Nig-Mitglied, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne).

Und zwar "bevor die Infektionszahlen im Herbst wieder steigen", betonte Rauch. Mit breit aufgestellter Immunität durch Impfung in der Bevölkerung sei die zu erwartenden Herbstwelle bewältigbar.

Impfung wichtiger als durchgemachte Infektion

Besonders ratsam sei ein vierter Stich, wenn die dritte Impfung schon länger als ein halbes Jahr zurückliegt, sagte Kollaritsch. Nach Ablauf dieser Zeit nämlich sei die Immunantwort gegen Corona abgeflaut. Das Immunsystem könne diese dann von Neuem besser aufbauen.

"Warten Sie nicht zu", riet er – und zwar auch allen Menschen, die in den vergangenen Monaten eine Corona-Infektion durchgemacht haben. Die derzeit kursierenden Omikron-Varianten BA4 und BA5 würden nur sehr kurzzeitig Immunität verleihen. Also sei angeraten, beim Sechs-Monate-Impfschema zu bleiben, egal ob man erkrankt war oder nicht.

Nicht auf angepassten Impfstoff warten

Keineswegs zu warten ist laut Kollaritsch auch auf die Auslieferung der an die BA1-Omikron-Variante angepasste Impfstoff, der mit großer Wahrscheinlichkeit morgen, Donnerstag, von der Europäischen Arzneimittelagentur Ema für die EU zugelassen wird.

Grund dafür: Im Vergleich zu dem bisher verwendeten, nur gegen die Corona-Ursprungsvariante aus Wuhan entwickelten Impfstoff werde dieses bivalenten – gegen Wuhan ebenso wie gegen BA1 wirksame – Vakzin "keine wesentliche Verbesserung" bringen, da inzwischen eben nicht mehr Omikron-BA1, sondern Omikron -BA4 und -BA5 unterwegs sind.

Rauch: Quarantäne-Aus rückwirkend betrachtet richtig

Die Impfung bleibe die wichtigste Maßnahme, um kommende Infektionswellen abzuflachen, sagte Minister Rauch. Bereitschaft dazu sei in Österreich ist vorhanden, vergangene Woche etwa hätten sich bundesweit 45.000 Menschen den Auffrischungsstich geholt. Wichtig sei auch, Menschen, die bis dato nur zweimal oder gar nicht geimpft wurden, mit ins Boot zu holen.

Der Sommer habe Österreich coronamäßig "eine Atempause verschafft", sagte Rauch. Die Abschaffung der Quarantäne vor mehreren Wochen habe sich rückwirkend betrachtet als berechtigt herausgestellt, also "keine gravierenden Auswirkungen" gehabt.

Nach dem Urlaub Testen

Im Herbst und Winter hingegen seien neuerliche Wellen zu erwarten: "Dafür gibt es klare Empfehlungen, in Innenräumen bei Anwesenheit vieler Menschen Maske zu tragen". Auch sollten die Betriebe dann wieder großzügiger Homeoffice anwenden – und zwar beides vorerst auf freiwilliger Basis.

Rauch riet zudem, sich nach der Rückkehr aus dem Urlaub in Schule oder Büro auf Corona testen zu lassen. Er werde sich dafür einsetzen, dass die fünf Gratis-PCR- und Antigentests pro Monat für jedem Menschen über den Winter weiter zur Verfügung stehen. Neue Maskenpflichten schloss er im Fall einer Zuspitzung der Situation nicht aus.

Strategien gegen Herbstwelle

Auf das an die BA.1-Variante angepasste Vakzin zu warten mache tatsächlich wenig Sinn sind sich Fachleute einig. Doch warum kommt jetzt – eher überraschend – die Impfempfehlung für alle ab zwölf? Virologe Christoph Steininger von der MedUni Wien geht davon aus, dass man angesichts der wieder steigenden Virusaktivität im Herbst für eine Auffrischungsimpfung argumentiert. Den für ihn wichtigsten Aspekt sieht er aber zu wenig berücksichtigt: "Man muss die Grundimmunisierungen weiter voranbringen. Es gibt definitiv Impflücken und diese Menschen gilt es erreichen."

Auch Molekularbiologe Ulrich Elling von der Akademie der Wissenschaften geht davon aus, dass man mit der Impfempfehlung die Herbstwelle nach unten drücken will: "Das ist mit den jetzigen Impfstoffen aber nur bedingt möglich, der Schutz vor Ansteckung hält ja nicht lange an." Die T-Zell-Antwort, die langfristigen Schutz vor schwerer Erkrankung bietet, sei auch mit drei Impfungen sehr gut. Und Elling betont: "Wenn man die Infektionen in der Bevölkerung verringern will, muss man Maßnahmen ergreifen wie Luftfilter in Schulen oder Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Eine Impfempfehlung wird nicht ausreichen."

Molekularimmunologe Andreas Bergthaler von der MedUni Wien geht grundsätzlich davon aus, dass sich Impfgremien ihre Entscheidung nicht leicht machen, vor allem jene für die jüngere Bevölkerungsgruppe. "Bei dieser muss man das Nutzen-Kosten-Verhältnis besonders genau abwägen, sie sind ja nicht so anfällig für schwere Krankheitsverläufe." Eine einheitliche Empfehlung zu treffen sei schwierig, weil es "immer komplizierter wird die Frage zu beantworten, was genau die Impfung für die einzelne Person bewirkt. Die Immunität entwickelt sich unterschiedlich, je nachdem und bei welcher Variante sie durch Impfung oder Infektion entstanden ist. Die handfeste Datenbasis hat man immer erst ein paar Monate später, man hinkt der Virusentwicklung also ständig hinterher." (Irene Brickner, Pia Kruckenhauser 31.8.2022)