Der Sommer ist vorbei – zumindest für jene 240.000 Kinder und Jugendlichen, die in Wien ab Montag wieder die Schulbank drücken müssen. Rund 20.000 Taferlklassler sind zum ersten Mal mit dabei. Ihnen stehen nun vier Jahre Volksschule bevor, wo sie lesen, schreiben und rechnen lernen – also sich den Grundstock für ihre spätere Bildungslaufbahn aufbauen. Doch dann naht auch schon die erste Zäsur: Rund 18.000 Kinder im Alter von zehn Jahren mussten sich heuer in Wien entscheiden, wohin es danach geht: an eine Mittelschule oder an eine AHS-Unterstufe?
Wobei: Von einer wirklichen Entscheidung kann keine Rede sein. Wo der Nachwuchs zur Schule geht, bestimmt immer noch dessen soziale Herkunft. Während der Anteil von Akademikerkindern in der Unterstufe 50 Prozent beträgt, machen Kinder von Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss nur drei Prozent aus, zeigt der Nationale Bildungsbericht. Kinder aus Arbeiterfamilien erzielen demnach tendenziell schlechtere Leistungen in der Schule – und besuchen daher seltener AHS-Unterstufen. Ein Erklärungsansatz: Viele dieser Eltern können schlicht weder Zeit noch Geld für die nötige Unterstützung der Kinder aufbringen.
Doch allein daran liegt es nicht. Selbst bei gleicher schulischer Leistung gehen Kinder aus formell weniger gebildeten Eltern weitaus seltener auf eine höhere Schule als Akademikerkinder. Die subjektive Einschätzung der Kosten und Chancen für den Schulerfolg oder der Wert von Bildung an und für sich werden hier als Gründe genannt. In Wien zeigt sich diese Ungleichheit folgendermaßen: Etwa 10.000 Kinder kommen in eine AHS-Unterstufe, 7.700 in Mittelschulklassen.
Auch für in Summe 20.000 Lehrerinnen und Lehrer heißt es am Montag nun zurück ans Pult – ohne Maske und ohne Corona-Tests, wie vergangene Woche bekannt wurde. Ändert sich die Infektionslage jedoch, könnten diese, wie es der Variantenmanagementplan vorsieht, wiederkommen. Während sich das Bildungsministerium im pandemischen Sinne für alle Szenarien gewappnet sieht, gibt es für den Lehrermangel noch kaum Lösungsansätze.
Derzeit liegt nur der Plan für mehr Quereinsteiger auf dem Tisch. Allein diese Maßnahme wird aber nicht reichen: Laut Bericht machen jene Lehrkräfte, die 55 Jahre oder älter sind, 30 Prozent der Vollzeitäquivalente aus. In den nächsten Jahren werden daher viele Junglehrerinnen nachrücken müssen. Vor Schulbeginn hat der STANDARD mit zwei von ihnen über Ängste und Erwartungen geredet – und bei Schülern nachgefragt, was sie sich von ihrem ersten Schultag erwarten.
Volksschullehrerin
Bei Yasmin Darwish liegt der erste Schultag schon etwas zurück. Doch nun steht er erneut an. Nur wird Darwish diesmal nicht die Schulbank drücken, sondern vorne in der Klasse an der Tafel stehen. Für die 29-Jährige ist es das erste Jahr als Volksschullehrerin. In den nächsten beiden Semestern wird ihr eine Mentorin zur Seite gestellt. "Ich denke, sie wird im Unterricht dabei sein, wenn ich sie brauche und Hilfe benötige", sagt sie. Neben dem Feedback, das sie von der erfahrenen Lehrkraft erhält, absolviert sie berufsbegleitend Seminare an der Pädagogischen Hochschule. "Es ist schon ein großer Schritt, und ich bin auch recht nervös", sagt sie. Denn ab diesem Jahr ist sie für 25 Erstklässler zuständig – "Full House also", sagt sie lachend. Es sei "eine große Verantwortung und Ehre".
Einige Schülerinnen und Schüler kennt sie bereits von einem Sommerfest der Volksschule Stubenbastei. In den letzten Wochen vor dem Schulstart ging es ans Vorbereiten. "In der Jahresplanung überlege ich, was ist im Monat wichtig, welche Themen möchte ich mit den Kindern erarbeiten und auch: Welche Feste gibt es zu der Zeit?" Warum sie wieder in die Schule geht? "Ich will Kindern einen Einblick geben, sie bilden und fördern", erklärt sie.
Volksschülerin
Zwei Wörter kann Marie bereits problemlos schreiben: Ihren eigenen Namen und den ihres kleinen Bruders Adam. Mit dem hat die Sechsjährige auch schon fleißig für ihren ersten Schultag geübt. Wie Schulespielen funktioniert? "Da bau ich mir eine Schule mit ihm." Logisch. Für Marie ändert sich ab diesem Herbst so einiges. Sie ist eine von rund 20.000 Taferlklasslerinnen und Taferlklasslern, die in der Bundeshauptstadt ihren ersten Schultag begehen. Ob sie sich schon auf die Schule freut? "Ja." Worauf? "Auf das Lernen." Maries Eltern haben sich für eine Volksschule im 17. Wiener Gemeindebezirk entschieden. Drei bis vier Klassen werden dort pro Jahrgang geführt, erzählt ihr Papa. Die Schule ist in der Nähe des Hauses, in dem die Familie lebt.
Neben dem geografischen Plus gab es aber auch noch andere Faktoren, die für die Volksschule sprachen: Es ist eine offene Schule, am Nachmittag wird auch auf die Interessen der einzelnen Kinder eingegangen. Und: Viele Kinder aus Maries Kindergarten wechseln ebenfalls in diese Schule. "Ein Freund von mir geht dann in meine Klasse", erzählt Marie. Wie sie von jetzt an jeden Tag in die Schule kommt, lässt das Mädchen auf sich zukommen. Wahrscheinlich: "Abwechselnd mit dem Papa und mit der Mama."
Gymnasiast
Cool sei es schon, findet Levi. Er ist einer von rund 18.000 Schülerinnen und Schülern aus Wien, die in dieser Woche den Wechsel von der Primar- zur Sekundarstufe I wagen. "Wir können dort viel mehr machen als in der Volksschule", sagt der Zehnjährige. Levi und seine Eltern haben sich für ein Gymnasium im ersten Wiener Gemeindebezirk entschieden. Zwei Schulen standen aufgrund ihrer Lage zur Auswahl. Beide wurden bei einem Tag der offenen Türe besucht. Die Entscheidung fiel Levi leicht. "Die andere war viel größer, da kann man sich leicht verirren", begründet er den Entschluss zur kleineren Bildungseinrichtung. Denn schon dort wird sich örtlich einiges ändern. "In der Volksschule hatten wir nur einen Raum. Jetzt muss ich immer wieder Klasse wechseln", sagt er.
Gespannt ist der Fußballfan auch auf die neuen Lehrkräfte. "Bisher hatten wir nur eine sehr nette Lehrerin – jetzt sind es zehn verschiedene Lehrer", erzählt er. Ob das gut oder schlecht sei? "Weiß nicht, das kommt immer auf die Personen an. Die kenne ich noch nicht." Neben der Freude auf den ersten Schultag gibt es aber auch noch Unsicherheiten bei Levi: "Ich glaube, dass es in allen Fächern schwieriger wird." Aber er hat Unterstützung – zwei Volksschulfreunde wechseln mit ihm in die gleiche Klasse. Das sei auch cool.
Gesamtschüler
Es ist ein bisschen bitter für den zehnjährigen Jakob: Zwar sind er und sein bester Freund in die Schule "mit den coolen Räumen" gekommen, die ihm sehr gefallen habe. "Aber leider sind er und meine anderen Freunde nicht bei mir in der Klasse." Ob er denn schnell Anschluss findet, ist daher aktuell Jakobs größte Sorge. "Ich kenne dort ja niemanden." Dieses Gefühl dürfte den 18.000 Wiener Schülerinnen, die vor dem Sprung in die Sekundarstufe I stehen, nicht fremd sein. In zwei Tagen kommt er ins Gymnasium im 21. Bezirk, wobei die Unterstufe als Wiener Mittelschule geführt wird – eine Gesamtschule, die auf soziale Durchmischung Wert legt und auf große Beliebtheit stößt. "Uns war wichtig, dass der Leistungsgedanke nicht im Vordergrund steht", sagt Jakobs Mama, die von der "offenen und fortschrittlichen Schule" gleich angetan war.
Auf welche Fächer er sich jetzt schon freut? "Auf Deutsch! Ich schreibe nämlich gerne Geschichten", sagt Jakob, der auch gerne Witze zum Besten gibt. Seine Wünsche an die künftigen Lehrpersonen sind daher klar: "Sie sollten viel Humor haben und meine Witze gut finden." Dieser Tage wird er mit seiner Mama einen Ausflug zur Schule machen, 25 Minuten zu Fuß ist sie von ihrer Wohnung entfernt. "Dann kann ich danach mit dem Roller hinfahren."
Mittelschullehrerin
Bis vor vier Jahren war es für Mira Eberdorfer nicht vorstellbar, dass sie in einer Schule arbeiten würde. "Ich dachte immer, ich kann gar nicht mit Kindern", sagt die 25-Jährige. Während ihrer Sprachenstudien fing sie an, in einem Nachhilfeinstitut zu arbeiten. "Dieser Job hat mich dann vom Gegenteil überzeugt." Sie fasste den Entschluss, Lehramt mit der Fächerkombination Englisch und Biologie zu studieren. Dass sie nun genau diese Fächer ab Montag an einer Mittelschule im 19. Wiener unterrichten wird, sei "ein unverschämtes Glück".
Sicherheit für den Start gebe ihr, dass ihr im ersten Jahr eine Mentorin zur Seite steht – für anfallende Fragen. Aber klar schwinge ein bisschen Angst mit: Wie lange brauche ich, um das Niveau der Schüler zu erfassen? Wie wird der Unterricht in den Integrationsklassen? "Aber ich probier, es einfach entspannt auf mich zukommen zu lassen." Entgegen komme ihr jedenfalls, dass sie 15 Stunden und keine volle Lehrverpflichtung hat – immerhin muss sie in den nächsten Jahren auch noch den Master abschließen. Ob sie danach an der Mittelschule bleibt oder an eine AHS wechselt, weiß sie noch nicht. An einer Oberstufe würde sie grundsätzlich schon reizen, dass der Stoff mehr hergibt. "Aber vielleicht komme ich jetzt drauf, dass mir die Kleinen lieber sind." (Oona Kroisleitner, Elisa Tomaselli, 5.9.2022)