Am Çukuriçi Höyük fand man mehr metallurgische Gegenstände wie Schlacken, Tiegel und Objekte aus Kupfer als in den meisten vergleichbaren Stätten derselben Zeit.
Foto: N. Gail, ÖAW-ÖAI

Nur selten bietet sich in der Archäologie die Möglichkeit, einen unverfälschten Blick in die Vergangenheit werfen zu können. Oft sind Fundstellen durch viele Jahrhunderte der Überbauung nur gestört erhalten. Doch manchmal öffnet sich ein rares Fenster in eine Zeit kultureller Umwälzungen.

Der Çukuriçi Höyük im Westen Kleinasiens gewährt solch seltene Einblicke. Dennoch steht der Tell im Schatten zahlreicher bedeutsamer Ausgrabungsstätten der Region. Der "Hügel in der Senke", wie das Toponym übersetzt heißt, ist bei weitem nicht so prominent wie berühmte andere Städte, darunter Pergamon, Troja oder das nahe Ephesos.

Erste Besiedlung vor 9000 Jahren

Erstmals besiedelt wurde der auf einer natürlichen Erhebung gelegene Platz vor fast 9000 Jahren im Neolithikum. Auf einen längeren Hiatus folgte in der späten Kupfersteinzeit vor rund 5300 Jahren eine neuerliche Ansiedelung, die bis in die frühe Bronzezeit vor 4700 Jahren andauerte. Danach wurde der Platz nicht mehr überbaut.

Durch die nur wenige Kilometer entfernte von Sabine Ladstätter geleitete Ausgrabungsstätte in Ephesos liegt der Çukuriçi Höyük im Lizenzgebiet des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Barbara Horejs, die wissenschaftliche Direktorin des ÖAI, erkannte nach einer Sondierungsgrabung die Bedeutung des Çukuriçi Höyük. Sie führte dank diverser Projektförderungen von Wissenschaftsfonds FWF und ERC bis 2016 mehrere Grabungssaisonen durch. Seither dauern die Untersuchungen und die Auswertung der Funde an.

Dieses Bild zeigt Überreste neolithischer Häuser am Çukuriçi Höyük.
Foto: ERC Prehistoric Anatolia / M. Börner

Zentrum des Handwerks

Der Archäometallurge Mathias Mehofer ist einer der Forscher, die sich mit dem Material vom Çukuriçi Höyük befassen. Mehofer leitet das archäometallurgische Labor des Vienna Institute for Archeological Science (VIAS) am Institut für Human Evolution and Archeological Sciences (HEAS) an der Universität Wien. Seine Forschungsergebnisse publizierte er jüngst in einer Monografie in Verlag der ÖAW.

Der Fundort ermöglichte ihm einen detaillierten Einblick in die frühbronzezeitliche Metallproduktion, der in dieser umfassenden Form bisher nur selten gewonnen werden konnte. Während Metallfunde in vergleichbaren Stätten der Region in dieser Zeit relativ selten sind, sind sie am Çukuriçi Höyük außergewöhnlich umfangreich: 174 Metallgegenstände aus der Zeit von 3000 bis 2700 vor unserer Zeitrechnung wurden hier ausgegraben, während es etwa in Troja in derselben Phase nur 18 sind. Die nächsten Fundorte dieser Bedeutung liegen weit in Ostanatolien oder im Iran.

In die Matrix der untersuchten Schlacke sind Eisenarsenide (weiß-gelblich) und Kupfersulfide (grau) in dendritischer Form eingelagert.
Foto: Mehofer/Uni Wien

Bemerkenswert ist auch das umfangreiche Ensemble von Werkzeugen für die Metallproduktion, erklärt Mehofer. Diese geben Aufschluss über die verwendeten Technologien in den Werkstätten. So konnte anhand eines Schlackestückes die Herstellung von Arsenkupfer nachgewiesen werden, der wichtigsten Metallsorte bis zur frühen Bronzezeit – danach wurde diese von der Zinnbronze abgelöst.

Innovativ und vernetzt

Diese Kupferlegierung ist härter und besser zu bearbeiten, doch Zinn ist selten. Lagerstätten gibt es zum Beispiel in Cornwall, im Erzgebirge oder in Afghanistan. Dennoch wurde in einem Gusstiegel am Çukuriçi Höyük Zinn gefunden. In einer Phase, in der sich diese neue Technologie von Osten her nach Europa ausbreitete, verfügten die Handwerker hier also bereits über das Know-how – und die dafür nötigen Wissens- und Handelsnetzwerke.

In diesem Schmelztiegel wurde Arsenkupfer verhüttet.
Foto: Mehofer/ Uni Wien

Den hohen Grad der Vernetzung zeigt der Nachweis, dass die Metallurgen am Çukuriçi Höyük auch eine Silber-Kupfer-Legierung herstellen konnten, die vom Westbalkan bis nach Mesopotamien verbreitet war. In der Zeit fand auch ein neuer Beiltyp – ein Flachbeil mit Loch im Nacken – von der Levante und Ostanatolien bis zum Balkan Verbreitung. Am Çukuriçi Höyük wurde eine Gussform entdeckt, die den ältesten gesicherten Nachweis für diesen Typus darstellt. Hergestellt wurden hier also nicht nur Alltagsgegenstände, sondern auch Waffen wie Dolche und Pfeilspitzen.

Diese Prestigeobjekte weisen auf die Existenz einer Eliteschicht hin – entweder vor Ort oder aber bei den Handelspartnern. Der Çukuriçi Höyük selbst zeigt jedoch keinerlei Anzeichen für eine hierarchische Gesellschaftsorganisation und die Anwesenheit einer höhergestellten Person: Die Bebauung ist gleichförmig, ohne Gebäude, die auf eine Sonderstellung schließen lassen. (Michael Vosatka, 2.9.2022)