Man sah Hans-Christian Ströbele auch noch im hohen Alter oft gemächlich durch Berlin radeln. Natürlich durch Kreuzberg, dort – korrekt im Bundestagswahlkreis Berlin-Friedrichshain – Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost – hatte er ja seine legendären Erfolge errungen. 2002, 2005, 2009 und 2013 schaffte er dort das Direktmandat für die Grünen. Das waren Erfolge, die nur ihm gelangen. Und selbstverständlich fuhr er auch per pedales zum Bundestag, die Limousine pausierte oft.

RAF-Anwalt

Am 29. August, also vorgestern, ist Ströbele, der an Krebs erkrankt war, gestorben. "Er war ein Politiker, der vielen Menschen imponiert hat – auch mir –, wegen seiner Geradlinigkeit, seines Einsatzes für Bürgerrechte und soziale Politik", sagte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Auch an der Gründung der "Taz" war Ströbele beteiligt.
Foto: Imago Images/Thomas Trutschel

Vielen Deutschen war Ströbele schon ein Begriff, als er noch nicht in der Politik tätig war. Als junger Rechtsanwalt unterstützte er die APO (außerparlamentarische Opposition) und verteidigte auch die RAF-Terroristen Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Damals stand er übrigens noch an der Seite von Otto Schily, mit dem er sich dann in der ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene, in der Schily SPD-Innenminister war, einige Wortgefechte lieferte. "Wir wollten revolutionäre Veränderungen", sagte er einmal über die 68er-Generation. Ströbele war zunächst auch SPD-Mitglied, doch er flog 1974 aus der Partei, als er RAF-Leute als "liebe Genossen" angesprochen hatte.

"Gewissen der Partei"

Eine neue politische Heimat fand er bei denen Grünen. Ströbele zählte 1978 zu den Gründungsmitgliedern der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz, aus der später der Berliner Landesverband der Grünen hervorging. Auch an der Gründung der linksalternativen "Berliner Tageszeitung" (Taz) war er beteiligt.

Links – das war auch sein Platz bei den Grünen. Oft wurde er "das Gewissen der Partei" genannt, seinen Bundestagswahlkampf 2002 führte er unter anderem mit dem Slogan: "Ströbele wählen, heißt Fischer quälen". Gemeint war damit der erste grüne Außenminister Deutschlands, Joschka Fischer (1998 bis 2005), der sich vom Fundi zum Realo entwickelt hatte.

"Gebt das Hanf frei"

Ströbele lehnte vieles ab, was Fischer vertrat, vor allem Auslandseinsätze der Bundeswehr, aber auch die nur geringe Unterstützung für Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose.

Oft vertrat er nicht die Linie der Partei und stimmte in der Bundestagsfraktion auch gegen die Mehrheit. Kritisch äußerte er sich immer wieder zur Datenspeicherung und mehr Rechten für Polizei und Geheimdienste. Seine Forderung "Gebt das Hanf frei, und zwar sofort" auf der Hanfparade 2002 war später Grundlage für einen Song von Stefan Raab und dem Reggae-Pop-Sänger Shaggy.

Für Überzeugungen einstehen

Lange hat Ströbele überlegt, ob er 2017 noch einmal für den Bundestag kandidieren soll. Viele in seiner Partei hätten es gern gesehen. Doch er wollte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr, sagte aber: "Man muss Haltung zeigen und für seine Überzeugungen einstehen – als Politiker vor allem auch öffentlich. Ich habe das in meinem politischen Handeln immer so gehalten, und das wird sich auch nicht ändern, wenn ich nicht mehr täglich in den Bundestag fahre."

Am Mittwoch teilte Ströbeles Rechtsanwalt Johannes Eisenberg mit: "Er hat selbst entschieden, dass er den langen Leidensweg, den ihm seine Erkrankungen zugemutet hat, nicht mehr fortsetzen wollte, und lebenserhaltende Maßnahmen reduziert. Er war bis zuletzt bei vollem Bewusstsein. Nicht der Geist, der Körper wurde ihm zur Qual und hat ihn am 29. August 2022 verlassen." (Birgit Baumann aus Berlin, 31.8.2022)