Katharina Müller und Martin Melzer, Rechtsanwältin und Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Erbrecht und Vermögensweitergabe, geben im Gastblog einen Einblick in die Prozesse eines Verlassenschaftsverfahrens.

Die meisten Menschen werden im Laufe ihres Lebens ein oder mehrere Male mit Erbschaftsangelegenheiten konfrontiert. Gerade in dieser oft auch emotional herausfordernden Zeit stehen sie im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens vor schwer verständlichen Verfahrensregeln und weitreichenden wirtschaftlichen Entscheidungen. In diesem Blogbeitrag soll ein Wegweiser durch den Dschungel des Verlassenschaftsverfahrens geboten und die wichtigsten Grundbegriffe erläutert werden.

Abseits der emotionalen Belastungen bringt ein Todesfall auch rechtliche Prozesse mit sich, die von den Hinterbliebenen durchgangen werden müssen.
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Das Verlassenschaftsverfahren oder Abhandlungsverfahren wird vom zuständigen Gericht von Amts wegen eingeleitet und durchgeführt. Als Gericht ist das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel der oder die Verstorbene seinen oder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Als Organ des Gerichts tritt vorwiegend ein Gerichtskommissär oder eine Gerichtskommissärin auf, womit der zuständige Notar oder die Notarin gemeint ist. Diese Person führt das Verfahren und hat bestimmte Amtshandlungen, wie zum Beispiel die Todesfallaufnahme, durchzuführen.

Ablauf des Verfahrens

Das Verlassenschaftsverfahren besteht aus drei Abschnitten: Vorverfahren, Verlassenschaftsabhandlung und Verfahren außerhalb der Abhandlung.

Sobald der Tod einer Person der Personenstandsbehörde bekannt wird, füllt diese eine Sterbeurkunde aus und übermittelt sie an das zuständige Gericht. Dieses Gericht leitet das Verlassenschaftsverfahren ein und trägt dem zuständigen Notar oder der zuständigen Notarin auf, das Verfahren abzuhandeln.

Das Vorverfahren

Ist das Verfahren eingeleitet, erfolgt zunächst die Todesfallaufnahme durch den zuständigen Gerichtskommissär oder die zuständige Gerichtskommissärin. Diese umfasst die persönlichen Daten der verstorbenen Person, Informationen über das hinterlassene Vermögen samt Rechten und Verbindlichkeiten, Informationen über letztwillige Anordnungen und über die Erben. Die Gerichtskommissärin oder der Gerichtskommissär hat die vorhandenen Vermögenswerte in der Verlassenschaft zu ermitteln – dazu hat sie oder er Auskunfts-, Einsichts- und Befragungsrechte.

Ergibt sich, dass die Aktiva der Verlassenschaft den Wert von 5.000 Euro nicht übersteigen und sind keine Eintragungen in die öffentlichen Bücher erforderlich (zum Beispiel Einverleibung des Eigentums im Grundbuch), unterbleibt nach dem Vorverfahren die weitere Abhandlung, sofern kein Antrag auf Fortsetzung gestellt wird. Wenn der Nachlass zahlungsunfähig oder überschuldet ist, kann es zur Verlassenschaftsinsolvenz kommen. Da ein Verlassenschaftsinsolvenzverfahren kostenintensiv sein kann, wird es meist zu einer Überlassung an Zahlung statt kommen. Dabei wird eine Verteilung der Aktiva nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen, ohne förmliches Insolvenzverfahren, durchgeführt.

Wird das Verfahren nicht durch Unterbleiben der Abhandlung, Verlassenschaftsinsolvenz oder Überlassung an Zahlung statt beendet, beginnt die Verlassenschaftsabhandlung.

Die Verlassenschaftsabhandlung

Hier wird zunächst ermittelt, wer die Erbinnen und Erben sind, und in weiterer Folge, ob sie die Erbschaft antreten wollen oder ob sie diese ausschlagen. Eine Erbantrittserklärung kann "unbedingt" oder "bedingt" abgegeben werden.

Unbedingte Erbantrittserklärung bedeutet, dass die erbende Person mit Einantwortung unbeschränkt für alle Schulden des Erblassers oder der Erblasserin haftet. Das gilt auch, wenn die Schulden den Wert des Aktivvermögens der Verlassenschaft übersteigen oder unbekannt sind. In diesem Fall haften die Erbenden persönlich mit ihrem ganzen Vermögen ohne Haftungsvorbehalt. Bei der bedingten Erbantrittserklärung haftet die erbende Person hingegen nur bis zum Wert der ihr zukommenden Verlassenschaft.

Wenn eine bedingte Erbantrittserklärung abgegeben wird, muss der Gerichtskommissär oder die Gerichtskommissärin ein Inventar errichten. Die Pflicht zur Inventarisierung besteht auch dann, wenn potenzielle Pflichtteilsberechtigte minderjährig sind oder einen gesetzlichen Vertreter benötigen, eine Nacherbschaft angeordnet ist, letztwillig eine Privatstiftung gegründet wurde oder die Verlassenschaft dem Bund zufallen könnte. Das Inventar ist ein vollständiges Verzeichnis des beweglichen und unbeweglichen Verlassenschaftsvermögens und der Verbindlichkeiten des oder der Verstorbenen und ihres Wertes zum Todeszeitpunkt. Die Bewertung erfolgt bei beweglichen Sachen nach dem Verkehrswert, bei Liegenschaften grundsätzlich nach dem (dreifachen) Einheitswert. In bestimmten Fällen ist eine Schätzung durch Sachverständige erforderlich, zum Beispiel wenn eine Partei dies beantragt, wenn es Bedenken gegen die Bewertung der Parteien gibt oder wenn es im Interesse einer schutzberechtigten Person notwendig ist.

Solange das Verlassenschaftsgericht nichts anderes anordnet, kommt der erbantrittserklärten Person das Benützungs-, Verwaltungs- und Vertretungsrecht hinsichtlich der Verlassenschaft zu. Mehrere Erbinnen und Erben üben dieses Recht gemeinsam aus, sofern sie nicht etwas anderes vereinbaren. Das Vertretungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören. Für außerordentliche Geschäfte ist die Genehmigung des Verlassenschaftsgerichts einzuholen.

Mit dem sogenannten Einantwortungsbeschluss wird das Verlassenschaftsverfahren beendet. Voraussetzungen für die Einantwortung sind, dass die erbenden Personen und ihre Erbrechtsquoten feststehen und die zur Einantwortung notwendigen Nachweise (formgültiger Erbvertrag, formgültiges Testament, Standesurkunden bei gesetzlicher Erbfolge etc.) vorliegen.

Der Einantwortungsbeschluss beinhaltet eine Bezeichnung der Verlassenschaft und der Erben, den Erbrechtstitel, die Erbquoten, den Hinweis auf ein allfälliges Erbteilungsübereinkommen, die Art der abgegebenen Erbantrittserklärungen, allfällige Beschränkungen durch Nacherbschaften und jeden Grundbuchskörper, auf dem die Grundbuchsordnung herzustellen sein wird.

Verfahren außerhalb der Abhandlung

So bezeichnet man die erforderlichen Verfahren nach Rechtskraft der Einantwortung, etwa wenn Grundbuchs- oder Firmenbucheintragungen vorzunehmen sind. Antragsberechtigt sind hier in erster Linie die Berechtigten, also die Erben und Erbinnen. Wenn ein Antrag innerhalb eines Jahres nicht gestellt wird, kann aber auch der Gerichtskommissär oder die Gerichtskommissärin den betreffenden Antrag stellen. (Katharina Müller, Martin Melzer, 31.8.2022)