Rapids organisierte Fans tragen das Stadionerlebnis mit. Ihre Emotion ist bei wichtigen Vereinsentscheidungen aber kein guter Berater.

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Es ist mal wieder so weit, die Religion Rapid Wien geht den Kreuzweg ins Chaos. Rabiate Teile der organisierten Fans haben Präsident Martin Bruckner und Wirtschaftsgeschäftsführer Christoph Peschek aus ihren Ämtern protestiert. Das Duo galt lange als Ultras-gestützt, nun dürfte diesen Präsidiums-Nachfolgekandidat und Klublegende Steffen Hofmann noch näher sein. Der jetzige Sportkoordinator Hofmann war es auch, der nach dem blamablen Aus gegen Vaduz kalmierend bei den Fans stand.

Dass Österreichs größter Hauptstadtklub seit 2008 keinen Titel gewonnen hat und oft hinter Sturm Graz, dem LASK oder der Austria hinterherhechelt, ist angesichts des Fan- und Marketingpotenzials eine Tragödie. Die Probleme sind auch sportliche: Es fehlt ein durchgängiges Spielkonzept, analog dazu ist die Transfer- und Trainerpolitik erratisch. Aber genau das liegt auch an der launischen Fankultur, die ungefiltert auf den Verein übergeht – und oft mäßig qualifizierte, aber dem Verein treue Ex-Kicker protegiert. Der moderne Fußball ist aber eine Wissenschaft; wer oben mitspielen will, muss schlaue Köpfe kalkulierte Entscheidungen treffen lassen.

Selbstanbetung

Auch jene Engagierte, die an ihren Feierabenden epochale Choreografien basteln und den Verein über alles stellen, müssen nicht immer wissen, was ihm guttut. Die Fankultur kann und muss sich auch aus der Vergangenheit speisen, sie darf aus Jahrzehnten wechselhaften Geschicks einen monolithischen Erfolg dichten. "Wir sind Rapid, und wer seid ihr?" Aber wenn die ganze Klubführung hier mitmacht, uralte Titel beschwört und in der stadioneigenen Kapelle dafür betet, dass das konzeptlose Herumwursteln neue Erfolge bringt, weil: "Wir sind Rapid, und wer seid ihr?", dann wird das nicht klappen. Hans Krankl, Bimbo Binder und, ja, auch Steffen Hofmann schießen keine Bundesligatore mehr.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass die lautstarke Unterstützung des Block West europaweite Spitzenklasse ist und auch für viele gemäßigtere Anhänger den Mythos Rapid ausmacht. Mag sein, dass man sich dafür wie bisher mit regelmäßigem Chaos und homöopathisch dosierten Erfolgen zufriedengeben darf. Vielleicht könnte sich der Klub aber auch vom Einfluss der Fans emanzipieren. "Rapid muss im dritten Jahrtausend ankommen", sagt der scheidende Präsident Bruckner. Ein Anfang wäre, den wenigen Unverbesserlichen klarzumachen, dass das Stürmen einer VIP-Tribüne keine besonders sinnvolle Form der vereinspolitischen Teilhabe ist. (Martin Schauhuber, 31.8.2022)