Mindestens zwei Tage lang wird in Wien gegen einen Trainer verhandelt, der sieben junge Sportlerinnen missbraucht haben soll.

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Wien – "Meine jungen Athletinnen waren deutlich erfolgreicher", sieht Herr J., der 48-jährige Angeklagte, der sich seit Mittwoch vor einem Schöffensenat unter Vorsitz von Corinna Huber wegen schweren sexuellen Missbrauchs verantworten muss, ein Motiv für die Anschuldigungen von insgesamt sieben Minderjährigen in Intrigen. Denn da er als Trainer in seiner Sportart seine jungen weiblichen Schützlinge zu Staatsmeistertiteln gebracht habe, seien andere Ausbilder neidisch, ist er überzeugt.

"Haben Sie irgendwann das Gefühl gehabt, eine Grenze überschritten zu haben?", will die Vorsitzende vom unbescholtenen Angeklagten wissen. "Dass ich lieber und netter war als andere Trainer, ja. Aber die sexuellen Übergriffe – nein", beteuert J., der sich daher auch nicht schuldig bekennt.

Vier Anklagekomplexe

Die von der Staatsanwältin vorgebrachten vier Anklagekomplexe umfassen einen Zeitraum von 20 Jahren. Der erste Vorfall soll sich im Sommer 1999 ereignet haben. Eine damals 13-jährige Sportlerin war erpicht darauf, vom Angeklagten, der selbst in der Jugend im Nationalteam war, trainiert zu werden. Sie kam mit dem Zug nach Wien, J. holte sie vom Bahnhof ab. Da es noch mehrere Stunden bis zum Training gewesen seien, seien sie zu ihm gefahren, um einen Film anzusehen. Dabei sei man sich nähergekommen – wie nah, ist die Frage. "Wir haben geknutscht", sagt der Angeklagte, die Frau sagt, es sei zu einem schweren Missbrauch gekommen.

J. bestreitet den. Als er sie gefragt habe, ob sie einen Freund habe und wie alt sie sei, habe sie verraten, dass sie noch unmündig sei, worauf er sofort aufgehört habe, beteuert der Angeklagte. Auf Nachfrage von Huber und Beisitzer Wolfgang Etl gesteht der von Andreas Schweitzer verteidigte Mann dann doch zu, dass es neben den Küssen auch zu Petting über der Kleidung gekommen sei.

Teenager mit Anpassungsstörung

Zwei Jahre später bekam das Mädchen gröbere psychische Probleme, die die psychiatrische Sachverständige Elisabeth Lenzinger als "Anpassungsstörung" diagnostiziert. "Ein Teil davon ist auf einen sexuellen Übergriff zurückzuführen", ist sie sich sicher. Beisitzer Etl will von der Fachfrau wissen, warum die mittlerweile 33-Jährige in dem unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgeführten Videos der kontradiktorischen Vernehmung ständig lache oder lächle. "Ich habe es als Verlegenheit interpretiert", sieht Lenzinger keinen Grund für einen Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Insgesamt sei die Betroffene aber definitiv länger als 24 Tage gesundheitlich beeinträchtigt gewesen, wodurch sich der Strafrahmen auf fünf bis 15 Jahre erhöht.

Der nächste Anklagepunkt dreht sich um einen Vorfall im Jahr April 2012. Der damals 39-jährige Angeklagte soll eine 15-jährige Freundin seiner 21 Jahre alten schwangeren Partnerin unsittlich berührt haben. Die beiden Frauen waren im Kino, der Teenager übernachtete anschließend bei dem Paar. "Ich habe an dem Tag die Wohnung ausgemalt, und im Wohnzimmer waren die Fenster offen", erläutert J., warum er mit den beiden Frauen im Ehebett schlief.

15-Jährige nicht betatscht, sondern weggedrückt

Dass er die 15-Jährige in dieser Nacht unsittlich berührt und sich mit erigiertem Penis gegen sie gedrückt hätte, bestreitet er. "Sie hatte Angst, am Bauch meiner Freundin anzukommen, und ist deshalb immer auf meine Seite gekommen", behauptet der Angeklagte. Er habe sie lediglich weggedrückt, einmal mit dem Knie, sonst sei nichts gewesen. "Auch hier die Frage: Warum soll sie sich das ausdenken?", will Huber wissen. "Vielleicht hat sie es falsch in Erinnerung", kann J. nur mutmaßen. "Ein Wegdrücken kann man ja nicht damit verwechseln, an den Brüsten und der Vagina berührt zu werden", sagt die Vorsitzende, die sich den Sachverhalt nach des Angeklagten Schilderung kaum vorstellen kann.

Der Angeklagte bleibt dabei: Das Mädchen sei auch später immer wieder zu Besuch gewesen, es habe nie irgendwelche Auffälligkeiten gegeben. Die 15-Jährige und eine Zeugin schildern das anders: Bei der Geburt des Sohnes des Angeklagten im Herbst 2012 sei die 15-Jährige nach einer Umarmung durch J. geflüchtet und habe geweint, sagen sie. Noch schwerer wiegt ein Tagebucheintrag des Mädchens vom Tag danach: " 'Titanic' mit A. Das was mit J. passiert ist, ich hab mich einfach nur vergewaltigt gefühlt. Das Schlimmste, was mir je passiert ist." Der Angeklagte kann sich das nicht erklären. "Wir waren bis vor kurzem noch auf Facebook befreundet", sagt er.

Problematische Froschdehnung

Dann geht es um den dritten Anklagekomplex, der die polizeilichen Ermittlungen ausgelöst hat. J. soll im Sommer 2019 fünf von rund 20 jungen Sportlerinnen seiner Trainingsgruppe immer wieder im Intimbereich berührt haben. Davon gibt es sogar zumindest zwei Fotos: Bei der sogenannten Froschdehnung, einer Vorbereitungsübung zum Muskelaufbau in den Oberschenkeln, ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft zu erkennen, dass J. mit dem Daumen die auf dem Bauch liegenden Mädchen zwischen den Beinen berührt.

Der Angeklagte will nicht einmal ausschließen, dass es versehentlich zu kurzen Kontakten gekommen sei, das sei aber keinesfalls Absicht gewesen, stellt er klar. "Wenn ich mich kurz umgedreht habe, um zu den anderen Kindern zu schauen, kann es sein, dass ich abgerutscht bin", kann er sich vorstellen. Dass es aber regelmäßige Übergriffe gegeben habe, bestreitet er. In der Existenz der Fotos sieht er auch den Beweis für eine Intrige von missliebigen Trainerkollegen – die hätten ihn ausspioniert, ist er überzeugt.

Verteidiger als Versuchskaninchen

Der Senat tut sich schwer damit zu verstehen, wie der Daumen zwischen die Beine geraten kann, wenn man das Gesäß mit der flachen Hand Richtung Boden drückt. Einer der Schöffen bietet sich sogar als Versuchskaninchen für eine Demonstration an, wird aber vom durchaus athletischen Verteidiger Schweitzer ausgestochen. "Ich kann für die Sauberkeit des Bodens nicht garantieren", warnt Vorsitzende Huber, nachdem der Verteidiger seinen Talar abgelegt hat. Schweitzer hat keine Bedenken, legt sich auf den Bauch, winkelt die Unterschenkel an, während sich seine Fersen in der Luft berühren.

"Es geht darum, die Hüfte nach unten zu drücken", sagt der Angeklagte und demonstriert dies am lebenden Objekt. "Da hat Ihr Daumen jetzt aber nicht Richtung Boden gezeigt!", bemerkt die Vorsitzende. J. greift nochmals hin, diesmal kommt es den Fotos schon näher. "Vorher war das aber nicht so", bleibt Huber dabei.

Keine Erklärung für vierten Vorwurf

Der vierte Anklagepunkt soll sich im September 2019 in einem Hotel abgespielt haben, wo sich die Mädchen auf einen Wettkampf vorbereiteten. J. soll in der Nacht einer 13-Jährigen, die auf dem Weg zum WC war, einen Arm um die Schulter gelegt und ihre Brust ein bis zwei Minuten gestreichelt haben. "Das ist absurd! Das hätten die anderen sehen müssen!", streitet der Angeklagte auch diesen Vorwurf ab. "Warum erfindet das Mädchen das?", interessiert sich die Vorsitzende zum wiederholten Mal. "Ich habe wirklich keine Erklärung. Vielleicht brauchte sie mehr Aufmerksamkeit?", lautet die Antwort. "Von Ihnen?" – "Nein, von den älteren Mädchen, die waren die 'Coolen'."

Für weitere Vorführungen von kontradiktorischen Vernehmungen wird neuerlich die Öffentlichkeit ausgeschlossen, am Donnerstag wird mit weiteren Zeuginnen und Zeugen fortgesetzt, dann soll auch ein Urteil fallen. (Michael Möseneder, 31.8.2022)