Paul Pogba (hier nach seinem Transfer bei seiner Ankunft in Turin) ist verletzt, außer Form und steht als mutmaßliches Erpressungsopfer im Zentrum der "Marabout"-Affäre.

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Weniger als drei Monate vor der WM ist bei den "Bleus" Feuer am Dach. Brandstifter ist der Bruder von Mittelfeldspieler Paul Pogba, Mathias. Der 32-jährige Profi, der sich in den vergangenen Jahren mit zweitklassigen Klubs in Europa abfinden musste, ritt am Samstag über Tiktok eine frontale Attacke gegen seinen drei Jahre jüngeren, ungleich erfolgreicheren Bruder Paul. Er kündigte "große Enthüllungen" an und sagte, Vereine wie Manchester United oder Juventus sollten "gewisse Dinge wissen", um entscheiden zu können, ob Paul Pogba "wirklich die Bewunderung, den Respekt und den Platz in der Nationalmannschaft verdient und ob er eine glaubwürdige Person ist".

Worum es sich handelt, sagte der Denunziant nicht. Der bizarre Auftritt in vier Sprachen (Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch) löste zuerst nur Sprachlosigkeit aus. Am Tag danach gaben die Anwälte von Paul Pogba bekannt, dass in Italien und Frankreich seit einem Monat Klagen wegen "bandenmäßiger Bedrohung und Erpressungsversuchen" anhängig seien. Unterzeichnet hatten die Mitteilung Pauls brasilianische Agentin Rafaela Pimenta (sie vertritt etwa auch Erling Haaland oder Zlatan Ibrahimović) sowie seine Mutter Yeo Moriba, eine ehemalige Nationalspielerin Guineas.

Ihr ältester Sohn Mathias doppelte noch am gleichen Tag nach und erklärte etwas konkreter, sein Bruder habe einen Zauberer auf Stürmer Kylian Mbappé ansetzen wollen, da ihn dieser in den Schatten stelle. "Kylian, verstehst du nun?", fragte Mathias. "All das ist wahr und bewiesen, der Marabout ist bekannt." Einen Beleg dafür blieb er allerdings schuldig.

Drei Brüder

Dafür berichten nun französische Medien, Paul Pogba habe vor Pariser Ermittlern ausgesagt, "Jugendfreunde" sowie die Zwillingsbrüder Mathias und Florentin hätten von ihm 13 Millionen Euro verlangt – eine Million für jedes Jahr, das sie Paul "diskret beschützt" hätten. Insider berichten, die drei Brüder seien jahrelang zusammen aufgetreten, zuletzt im Frühling, als Paul einem von Mathias organisierten Galaabend für abtretende Fußballprofis beiwohnte.

Laut RMC Sport und France Info gab Paul Pogba gegenüber der Polizei zu, dass er versucht habe, bei seiner Bank drei Millionen Euro abzuheben. Er habe aber nur 100.000 Euro erhalten und den Betrag den Erpressern ausgehändigt. Darunter seien zwei vermummte Männer mit einem Sturmgewehr gewesen.

Laut dem Sportblatt L’Equipe steht die Affäre "erst am Anfang". In Teilen erinnert sie an die Sextape-Affäre um Karim Benzema. Der Internationale war nach einem Erpressungsversuch gegen seinen Teamkollegen Mathieu Valbuena Ende 2021 wegen Beihilfe zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden – der Berufungsprozess ist anhängig.

Verletzt auch noch

Benzema, Pogba und Mbappé sind Stützen der Nationalmannschaft. Während die Stürmer Benzema und Mbappé keine Formprobleme kennen, hat Pogba (29) seinen Zenit möglicherweise überschritten. Im Juli hat sich der Mittelfeldstratege ernsthaft verletzt, sein Einsatz bei der WM in Katar Ende November schien bereits fraglich.

Nationalcoach Didier Deschamps könnte Pogbas Verletzung am rechten Meniskus zum Vorwand nehmen, um auf den Star von Juventus Turin zu verzichten. Es sei denn, an der "Marabout"-Geschichte ist nichts dran.

Negative Schlagzeilen macht derzeit auch ein anderer Weltmeister von 2018. Verteidiger Benjamin Mendy von Manchester City steht in England wegen der Vergewaltigung von sieben jungen Frauen vor Gericht. Sein WM-Einsatz ist längst kein Thema mehr.

All diese Fälle harren rechtskräftiger Urteile, zeigen aber die Abgründe im französischen Spitzenfußball auf. Welche Verhältnisse in diesen Kreisen herrschen, zeigt eine Nebenepisode: Paul Pogba musste einen "Freund" vor die Tür setzen, den er bei sich wohnen ließ – und der ihn via Kreditkarte um 200 000 Euro erleichtert haben soll. "Man kann sich gar nicht vorstellen, was die Jungs heute alles einstecken müssen, bei all diesen Aasgeiern um sie herum", sagte Antoine Kombouaré, der Trainer von Nantes. (Stefan Brändle aus Paris, 1.9.2022)