Im Omnium-Bewerb, den Kokas gewann, wird der beste Allrounder gekürt. Bei den Meisterschaften in Brno ergaben das Ausscheidungsrennen, das Temporennen, Scratch und das Punkterennen die Gesamtwertung.

Foto: ÖRV / Jan Brychta

Vor der Siegerehrung war Raphael Kokas (17) herausragend. Als Omnium-Meister verwies er die 20-jährigen Tim Wafler (links) und Maximilian Schmidbauer auf die Plätze.

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Was geht eigentlich in einem jungen Sportler vor, nachdem er zum ersten Mal die Staatsmeisterschaft gewinnen konnte? "Ein komisches Gefühl. Ich bin Staatsmeister geworden, musste aber noch über die Grenze und zwei Stunden nach Hause fahren." So beschreibt es Raphael Kokas (17), Österreichs Meister im Omnium auf der Radbahn. Ihm gefällt vor allem die Unvorhersehbarkeit des Rennausgangs. "Es reicht nicht, deppert in die Pedale zu treten. Man muss auch taktisch und mit dem Kopf fahren."

Staatsmeisterschaften, das ist plausibel, finden in dem Staat statt, dessen Meisterschaft ausgetragen wird. Im Bahnradsport ist es anders, denn die heurigen Staatsmeisterschaften wurden im tschechischen Brno ausgefahren. Seit dem Abriss des altehrwürdigen Ferry-Dusika-Stadions in Wien sind die Bahnradfahrerinnen und -fahrer heimatlos. Denn für ihre Sportart ist, obwohl Österreich just in jüngerer Vergangenheit viele Radsporterfolge sammelte, im Neubau kein Platz mehr. So tingeln sie nun von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, auf der Suche nach optimalen Trainingsbedingungen. Mal ist es Brno, mal Novo mesto in Slowenien, mal Deutschland oder Spanien. Was romantisch nach Vagabundenleben klingt, hat natürlich nichts mit Leistungssport zu tun. Das im wahrsten Sinne des Wortes fahrende Volk sorgt sich um die Zukunft des Sports.

"Wir wurden schon vor vollendete Tatsachen gestellt", sagt Gernot Kokas. Er ist Raphaels Vater und Präsident des Wiener Landesverbands. Man habe Pläne in der Schublade gehabt und den Dialog bezüglich Alternativen für den Bahnradsport gesucht. Über den ersatzlosen Abriss habe er schließlich aus den Medien erfahren. "Die Kommunikation zwischen Sportamt, Magistrat und Radverband war nicht vorhanden", konstatiert Kokas senior.

Keine Kultur

Ist der österreichische Bahnradsport also in der Sackgasse? Sorgen machen sich Vater und Sohn allemal. "Der Radsport hatte ursprünglich einen hohen Stellenwert in Österreich, kam aus der Arbeiterbewegung. Mittlerweile haben wir aber gegenüber dem Skisport und Fußball an Boden verloren", sagt Gernot Kokas. Eine Kultur, wie es sie in Deutschland mit dem Sechstagerennen in Berlin gebe, sei verloren gegangen. Die breite Masse sei schwierig zu erreichen. Raphael beklagt die Trainingsbedingungen: "Aktuell kann ich nur auf der Straße trainieren, da geht es um Grundlagen, Ausdauer und Intervalle. Wenn ich mich aber spezifisch auf Wettbewerbe vorbereiten möchte, muss ich entweder ins Ausland oder nach Linz fahren."

Notlösung Linz

Linz – was wie ein Hoffnungsschimmer erscheint, offenbart sich bei genauer Betrachtung als Notlösung. Das vom Familienunternehmen Schachermayer errichtete Velodrom entspricht nicht den olympischen Standards. Darüber hinaus ist es eine reine Trainingsbahn, Plätze für Publikum gibt es keine. Zu guter Letzt ist es nicht überdacht. "Ich habe Angst, dass die Stadt Wien sagt, wir hätten eh eine Bahn in Linz, da brauche es keine in Wien", sorgt sich Raphael Kokas, denn: "Man muss mit dem Bahnradsport früh beginnen und schon in jungen Jahren Rennen fahren. Das geht aber nicht, wenn es keine Bahn gibt." Vater Gernot: "Man braucht einen großen Pool an Talenten, aus denen man wenige Topfahrerinnen und Topfahrer formt. In Zukunft werden wir wohl nur auf Zufallsentdeckungen in Linz hoffen können. Ich mache mir Sorgen."

Sportlich setzt sich der 17-Jährige ambitionierte Ziele. Sein Vorbild ist Elia Viviani. Dem Italiener gelang bei der EM in München das Husarenstück, auf der Bahn den Titel im Ausscheidungsrennen zu holen, nachdem er fünf Stunden zuvor das 208 Kilometer lange Straßenrennen als Siebenter beendet hatte. "Ziel eines jeden Sportlers einer olympischen Sportart ist es, bei den Spielen eine Medaille zu erkämpfen – am besten natürlich eine goldene", sagt Raphael Kokas. Er könnte der Letzte seiner Art sein. Die Sportart steht am Scheideweg. (Jens Wohlgemuth, 1.9.2022)