Wird am Burgtheater ein neuer Direktor bestellt, gehen die Wogen hoch. Hier Martin Kušej.

Foto Heribert Corn

"Ich bin hier noch nicht fertig." Mit diesen Worten brachte sich Burgtheaterdirektor Martin Kušej bei der Vorstellung seines kommenden Spielplans Ende Juni für eine neuerliche Amtszeit in Stellung. Seine erste läuft im Juni 2023 aus, und man muss schon weit in der Geschichte von Österreichs wichtigstem Theater zurückgehen, um einen Direktor zu finden, dessen Vertrag nach den ersten fünf Jahren nicht verlängert wurde. Kušejs Vorgängerin Karin Bergmann verließ das Theater auf eigenen Wunsch.

Martin Kušej aber könnte ähnlich wie Gerhard Klingenberg 1976 unfreiwillig aus dem Direktionszimmer ausscheiden müssen, glaubt man den Gerüchten, die seit Monaten die Runde machen. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer, so die Fama, sei mit der Performance des Intendanten nicht zufrieden: Statt während der Pandemie Flagge zu zeigen – wie Staatsoperndirektor Bogdan Roščić – habe sich Kušej in sein Kärntner Haus zurückgezogen und an einem Buch gearbeitet. Als dieses im Frühjahr erschien, war es allerdings kein programmatisches Sich-in-Stellung-Bringen, sondern eine Selbstbeweihräucherung der eigenen Bühnenerfolge.

Durchwachsene Bilanz

Viele davon kann Kušej nach vier Jahren Wiener Intendanz allerdings nicht vorweisen. Die Maria Stuart war ein Kritikererfolg, die Geschlossene Gesellschaft zumindest einer beim Publikum. Die versprochene Internationalisierung des Hauses blieb auf halbem Weg stecken, neue Regiehandschriften hinterließen wenig Eindruck. Letzteres fällt besonders seit dem Antritt von Kay Voges am Volkstheater ins Gewicht, der mit seinem radikal-performativen Kurs Kušejs Literaturtheater etwas altbacken aussehen lässt. Gerade erst wurde das Haus am Arthur-Schnitzler-Platz mit gleich zwei Produktionen zum Berliner Theatertreffen eingeladen, Kušejs Burgtheater ging dagegen leer aus.

Wie auch immer man solche Kennzahlen beurteilen will: Es ist offensichtlich, dass Kušej auch nach vier Jahren noch immer mit seiner Rolle als Burgtheaterdirektor fremdelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im demnächst anstehenden Entscheidungsprozess einfach durchgewinkt wird, ist daher gering. Mitte September soll laut Auskunft des Staatssekretariats die neue Amtszeit ausgeschrieben werden, nach einer Bewerbungsfrist von vier Wochen folgen die Hearings vor einer Findungskommission, mit einer Entscheidung ist dann spätestens in den Wochen vor Weihnachten zu rechnen. Weitere Auskünfte will und kann das Büro der Staatssekretärin derzeit keine geben.

So viel lässt sich aber sagen: Während Robert Meyer an der Volksoper denkbar schlechte Karten für eine Vertragsverlängerung hatte, waren jene von Bogdan Roščić an der Staatsoper die allerbesten. Im Fall des Burgtheaters scheint das Spiel tatsächlich offen zu sein, und das allein nährt die wildesten Spekulationen. Für Kušej spricht die Tatsache, dass ihm die Pandemie einen gewaltigen Strich durch viele Vorhaben gemacht hat, gegen ihn die Namen kolportierter Konkurrenten.

Game of Names

Einige von ihnen (etwa Matthias Hartmann) gehören zwar eher ins Reich der Skurrilität, andere wie die Schauspielintendantin der Salzburger Festspiele, Bettina Hering, oder der Intendant des Münchner Residenztheaters, Andreas Beck, punkten dagegen mit einem offeneren Theaterbegriff sowie guter Kenntnis der Wiener Besonderheiten. Unabhängig von den vielen Namen, die herumschwirren, bleibt die Gretchenfrage, welches Bild die Staatssekretärin vermitteln möchte: Kušejs Vertrag nicht zu verlängern käme einer öffentlichen Desavouierung gleich. Vielleicht einigt man sich auch auf zwei Extrajahre – und verschafft sich damit Luft. (Stephan Hilpold, 1.9.2022)


Wer das Burgtheater bald leiten könnte:

Barbara Frey (59) ist eine der wenigen Frauen im Nachfolgekarussell. Die Schweizerin ist Leiterin der Ruhrtriennale, zuvor führte sie zehn Jahre das Schauspielhaus Zürich. Am Freitag stellt sie ihre Inszenierung von Das weite Land an der Burg vor, als Regisseurin punktete sie hierzulande mit dem Automatenbüfett. Als Intendantin steht sie für eine Mischung aus Neuem und Bewährtem, Literatur und Performance.

Andreas Beck (57) war schon einmal in Wien Intendant: Am Schauspielhaus widmete er sich in erster Linie Gegenwartsdramatik. Auf diese legt er immer noch ein Augenmerk, als Intendant des Münchner Residenztheaters verantwortet er einen fein austarierten Spielplan aus Klassischem und Zeitgenössischem. Anders als Kušej, seinem Vorgänger in München, inszeniert Beck aber nicht selbst.

Bettina Hering (62) verantwortete in den vergangenen fünf Jahren das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele. Die in Wien lebende Schweizerin kennt sich in der heimischen Szene aus, ohne allzu sehr verbandelt zu sein. Hering ist eine Gratwanderin zwischen Projekt- und Literaturtheater, sie selbst inszeniert nicht. In Salzburg blickt sie auf eine recht durchwachsene Bilanz zurück.

Martin Kušej (61) leitet seit vier Jahren das Burgtheater und hat angekündigt, sich für weitere fünf Jahre zu bewerben. Der Kärntner steht für ein körperbetontes Schauspieler- und Literaturtheater, mit Diskursformaten oder Bühnenexperimenten kann er wenig anfangen. Kušejs Erfolge an der Burg sind überschaubar, mit Wien ist er nicht heimisch geworden. Vieles wurde ihm auch durch die Pandemie verhagelt