Kann etwas Kunst sein, das man nicht selbst zeichnet, sondern per Befehl von einer künstlichen Intelligenz (KI) erzeugen lässt? Mit dieser Frage beschäftigen sich gerade Künstler in Colorado. Denn bei dem Kunstbewerb auf der jährlichen State Fair sicherte sich ein eben derart erzeugtes Werk den ersten Platz in der Kategorie "Digitale Kunst".

Eingereicht wurde das Gemälde mit dem Titel "Théâtre D’opéra Spatial" ("Weltraumoperntheater") von Jason Allen, dem Chef der Firma Incarnate Games, die Tabletop-Spiele entwickelt. Gemalt hat er es nicht selbst. Stattdessen hat er eine KI beauftragt, die manche STANDARD-Leser bereits kennen dürften: nämlich Midjourney.

Diese lässt sich mit fast beliebigen Beschreibungen füttern und schafft dann daraus Bilder. Dabei überzeugt sie vor allem, wenn es dezidiert um fantasievolle Eingaben geht und weniger um besonders realistische Abbildungen. Allen hatte gleich drei Werke eingereicht. Jenes, das am Ende ausgezeichnet wurde, zeigt mehrere Personen in einem Saal in futuristischer Barock-Ästhetik und ein großes, rundes Fenster, das einen Blick auf die lichtdurchflutete Landschaft draußen eröffnet.

"Théâtre D’opéra Spatial", erzeugt von Midjourney über die Eingabe von Jason Allen. Vergrößert mit Gigapixel AI und gedruckt auf Leinwand.
Foto: Screenshot/Discord/Jason Allen

Erzeugt wurde es von Allen mit einer "speziellen Eingabe" und Einstellungen, die er sich über hunderte Versuche und Feintuning erarbeitet hat. Details dazu will er noch veröffentlichen. Zum Einsatz kam auch eine zweite KI, Gigapixel AI. Mit dieser vergrößerte er das ursprüngliche Bild mit geringem Qualitätsverlust, um es auf Leinwand drucken lassen zu können.

Grantige Reaktionen

Während Allen sich sehr über den Erfolg freute, gab es von manchen Künstlern wenig begeisterte Kommentare. Der philippinische Illustrator Genel Jumalon veröffentlichte einen Screenshot von Allens Ankündigung auf dem Discord-Server von Midjourney. "Zusammenfassung: Jemand nahm an einem Kunstbewerb mit einem KI-generierten Werk teil und gewann den ersten Preis. Ja, das ist verdammt beschissen", merkte er dazu an. Die Botschaft wurde mittlerweile über 14.000-mal geteilt und erhielt mehr als 82.000 "Likes".

Jumalon selbst teilte zudem den Aufruf einer Künstlerin mit dem Pseudonym "Nashi Valentine", die Verantwortlichen für die Organisation der Colorado State Fair und des Kunstbewerbs zu kontaktieren. Unter dem Tweet entbrannten teils heftige Debatten darüber, ob etwas, das nicht direkt von einem Menschen geschaffen wurde, überhaupt Kunst sein könne und ob solcherlei Technologie das malerische Handwerk bedroht. "Wir sehen den Tod des Künstlertums vor unseren Augen", kommentierte etwa ein User. "Wenn kreative Berufe nicht mehr sicher vor Maschinen sind, dann sind selbst Jobs für gut ausgebildete Fachkräfte in Gefahr, obsolet zu werden."

"Kommt euch das nicht heuchlerisch vor?"

Allen selbst, dokumentiert "Vice", äußerte sich am vergangenen Dienstag zur Debatte. "Ich wusste, dass das kontroversiell sein wird. Es ist sehr interessant zu sehen, wie all diese Leute auf Twitter, die so gegen KI-generierte Kunst sind, die Ersten sind, die das menschliche Element leugnen. Kommt euch das nicht heuchlerisch vor, Leute?"

Er betont, dass sein eigener Input essentiell dafür war, wie das generierte Werk letztlich aussieht. Seine Gegner würden das Werk anhand seiner Entstehung bewerten und nicht anhand seiner Qualitäten und der Arbeit dahinter. "Was, wenn wir es vom anderen Extrem aus betrachten? Was, wenn ein Künstler sich eine Reihe extrem schwieriger und komplizierter Beschränkungen auferlegt – etwa wenn er sich verkehrt herum aufhängen würde und sich auspeitschen lässt, während er zeichnet?", so Allen. "Sollte das Werk des Künstlers dann anders bewertet werden als das von jemandem, der das Gleiche 'normal' zeichnet?" Er rechnet damit, dass in Zukunft bei solcherlei Bewerben eine eigene Kategorie für KI-Kunst geschaffen wird.

Am 26. August vermeldete Allen seinen Sieg in der Kategorie "Digitale Kunst" bei der Colorado State Fair.
Foto: Screenshot/Discord/Jason Allen

Tatsächlich wird auch kommerziell schon mit dem Einsatz von KI-generierten Bildern, wo sonst üblicherweise Werke von Illustratoren zu finden sind, experimentiert. "The Atlantic" etwa bebilderte Anfang August einen Newsletter über das Verfahren gegen den US-Verschwörungserzähler Alex Jones mit einer mit Midjourney erzeugten Zeichnung.

Allen lässt sich von der Diskussion um sein Bild jedenfalls nicht stoppen. "Ich werde jetzt nicht aufhören", sagt er. "Dieser Sieg hat mich noch mehr von meiner Mission überzeugt." (gpi, 1.9.22)