Wie eine aktuelle internationale Studie belegt, lassen Menschen im Urlaub nicht selten das eine oder andere aus dem Hotel mitgehen. Handelt es sich um im Zimmer bereitgestelltes Shampoo oder Duschgel in Reisegröße, das man zwar nicht vor Ort benutzt hat, aber ein andermal vielleicht brauchen kann, sehen das viele als Kleinigkeit an. Es sei doch nicht der Rede wert, sich etwas einzustecken, das ja ohnehin für die Hotelgäste bestimmt war. Doch die Grenzen zwischen Kavaliersdelikt und "echtem" Straftatbestand sind fließend.

Würden Sie sich hiervon etwas mitnehmen?
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Der Begriff "Kavalier" wurzelt im lateinischen "caballarius" (Pferdeknecht) und wandelte sich in der Wortbedeutung im Lauf der Jahrhunderte hin zu einem vornehmen Mann mit ritterlichen Tugenden und höflichen Umgangsformen. Per Definition ist ein Kavaliersdelikt demnach ein Vergehen, das sich sogar ein solcher untadeliger Mensch erlauben darf, eine zwar strenggenommen illegale Tat, die jedoch von der Außenwelt als Lappalie, als nicht ehrenrührig und weniger schlimm wahrgenommen und daher auch nicht geahndet wird. Der englische Begriff dafür lautet "trivial offense", also ein Vergehen, das im Grunde banal und zu vernachlässigen ist.

Ist Stehlen unter bestimmten Umständen in Ordnung?

Beim Kavaliersdelikt oder Bagatelldelikt geht es oftmals darum, aus mangelndem Unrechtsbewusstsein oder Bequemlichkeit etwas zu tun, durch das andere einen Schaden oder Verlust erleiden. Häufig fällt der Begriff im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten. "Du sollst nicht stehlen", besagt bereits das siebente biblische Gebot und gehört normalerweise zu den unhinterfragten Regeln des Zusammenlebens, auf die sich auch weniger christlich orientierte Menschen einigen können.

Steckt man die Mini-Pröbchen aus dem Hotelzimmer ein, eignet man sich zwar im Grunde ein Gut an, das einem nicht gehört. Zum Kavaliersdelikt macht solcherlei aber der als gering empfundene Wert der gestohlenen Sache, einer Kleinigkeit, die man ja ohnehin hätte nutzen dürfen. Doch wie sieht das beim Handtuch oder Bademantel aus dem Hotelzimmer aus? Oder beim besonderen Glas oder schönen Aschenbecher aus dem Lokal?

Kavaliersdelikt: Eine Frage der Wahrnehmung

"Wo kein Kläger, da kein Richter", lautet ein in diesem Zusammenhang oft bemühtes Bonmot. Doch besagt dies nicht eigentlich, dass man sich mit seinem Vergehen nur so lange in Sicherheit wiegen darf und keine Konsequenzen zu befürchten braucht, wie niemand das Delikt bemerkt hat und sich damit auseinanderzusetzen beginnt?

Eine klare Grenze in Sachen Kavaliersdelikt ziehen viele Menschen da, wo es nicht um Dinge, sondern um Geld geht oder jemand ernstlich zu Schaden kommt. Ist es zwar in Ordnung, zu viel herausgegebenes Retourgeld einzustecken – aber auf keinen Fall, Steuern zu hinterziehen? Darf man sich etwas illegal herunterladen, obwohl es geltendes Urheberrecht verletzt? Wie sieht es generell mit Raubkopien, Arbeiten im Pfusch, Plagiaten, Spesenbetrug oder Öffi-Fahren ohne Ticket aus? Zumindest darüber, dass betrunkenes Autofahren längst nicht mehr als Kavaliersdelikt gilt, scheint inzwischen Einigkeit zu herrschen – doch sonst scheiden sich an diesem Begriff vielfach nach wie vor die Geister.

Wo ziehen Sie die Grenze?

Welcher Bagatelldelikte haben Sie sich schon schuldig gemacht? Was könnte ein Kavaliersdelikt rechtfertigen? Zählt für Sie dabei in erster Linie Ihre Selbstwahrnehmung oder eher die Wahrnehmung Ihres Tuns durch Gesellschaft und Umwelt? Und wo hört Ihrer Meinung nach die Harmlosigkeit auf, und ein echtes Vergehen ist geschehen? Diskutieren Sie im Forum! (dahe, 5.9.2022)