Vor der versammelten Redaktion erklärten Gabi Lüeße und Henrik Hanses die Protestaktion nach Vorwürfen gegen Chefredakteur und Politik-Ressortchefin.

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Kiel – Leere Pulte im Studio zur Signation, dann kommen die beiden Moderatoren vor dem Funkhaus und der versammelten Redaktion ins Bild: Das "Schleswig Holstein Magazin" des öffentlich-rechtlichen NDR begann Mittwoch mit einem Protest der Redaktion. Anlass: Vorwürfe gegen den Chefredakteur und die Politik-Ressortchefin, die beide kurz zuvor aus ihren Funktionen vorerst ausgeschiedenen sind.

"Berichterstattung manipuliert"

Es gehe um "sehr schwerwiegende Vorwürfe, dass Führungskräfte Berichterstattung manipuliert hätten", erklärte Moderatorin Gabi Lüeße: "Das trifft uns als unabhängige Journalisten ins Mark", auch wenn es sich bisher alleine um Vorwürfe handle.

Der ungewöhnliche Protest on air unterstreiche das "Ziel, dass alle Vorwürfe unabhängig aufgeklärt werden, damit wir für Sie weiterhin ein unabhängiges Programm machen können".

Übergriffe

Im ersten Beitrag – produziert als Blick von außen von der Hamburger NDR-Redaktion – berichtete das Magazin über die Vorwürfe, von denen der "Stern" berichtet hat: Die NDR-Redaktion recherchierte im Herbst 2020 über Vorwürfe von Übergriffen gegen Kindern in Heimen in den 1950er Jahren. Führungskräfte des NDR hätten etwa gedrängt, die Betreiber der Heime nicht zu nennen und Unterlagen an diese weiterzugeben.

Der stellvertretenden Leiter der Politikredaktion sei zudem bei Wahlkampfveranstaltungen seines Ehemanns gewesen, man wirft ihm mangelnde Distanz vor. Der NDR ließ dazu verlauten, dass der Vize-Ressortleiter nicht mit der Wahlkampfberichterstattung befasst war. Die anderen Vorwürfe würden noch intern geklärt und vorerst nicht kommentiert.

Der Chefredakteur und die Politikchefin sind laut NDR auf eigenen Wunsch aus ihren Funktionen bis auf Weiteres ausgeschieden.

Ermittlungen gegen fristlos entlassene Intendantin

In den vergangenen Wochen beschäftigte eine andere ARD-Anstalt die Öffentlichkeit: Beim Berliner RBB wurde die Intendantin Patricia Schlesinger nach Vorwürfen der Untreue und Vorsteilsnahme auf RBB-Kosten für sich und ihren Mann fristlos entlassen. Auch RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf trat zurück, weitere Führungskräfte gingen.

In Berlin ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin gegen Schlesinger, ihren Mann und Wolf wegen Untreue und Vorteilsannahme. Es läuft zudem eine externe Untersuchung einer Anwaltskanzlei, bislang ohne Ergebnisse. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Entwicklungen beim RBB sorgen in Deutschland für Diskussionen über das über eine Haushaltsabgabe finanzierte öffentlich-rechtliche System mit ARD, ZDF und Deutschlandfunk. (red, 1.9.2022)