"Wir lassen uns nicht zu Bettlern abstempeln", so begründete Ankie Spitzer, Witwe des Fechttrainers Andrej Spitzer, der am 6. September 1972 in der Gewalt palästinensischer Terroristen zu Tode kam, ihr geplantes Fernbleiben. Wenn Deutschland nun endlich Reue zeige, dann habe das seinen Preis.

Nun gab es eine Einigung, die Hinterbliebenen werden an der Gedenkfeier in München am kommenden Montag teilnehmen. Auf den Tag 50 Jahre nach der Geiselnahme, die ihre Angehörigen das Leben kostete, sollen sie zum ersten Mal eine offizielle Entschuldigung der Bundesrepublik Deutschland hören. Gründe für diese späte Reue gibt es zur Genüge.

Trotz deutlicher Anzeichen, dass die Olympischen Spiele in München Ziel eines palästinensischen Terroranschlags werden könnten, hatten die Behörden nichts unternommen, um das Olympische Dorf abzusichern. Ein zwei Meter hoher, lückenhafter Maschendrahtzaun ohne Stacheldrahtbewehrung umgab das Dorf, anwesende Sicherheitskräfte waren überwiegend nicht bewaffnet. Der Gedanke dahinter: Knapp drei Jahrzehnte nach dem Ende der Naziherrschaft sollte Deutschland als heiterer, abgerüsteter Ort erscheinen, an dem sich alle wohlfühlen – wobei "alle" in der Konsequenz auch die Terroristen inkludierte.

Fehlender Polizeischutz

Für diese war es ein Leichtes, in den Morgenstunden des 5. September 1972 in das Haus der israelischen Athleten einzudringen. Den Polizeischutz, um den Israel Deutschland zuvor gebeten hatte, gab es nicht. Die Begründung: Man gewähre schließlich auch keiner anderen Nation besonderen Schutz, warum also ausgerechnet Israel. Zu jener Zeit war der palästinensische Terror längst in Deutschland – und auch in München – angekommen.

Die Namen der Opfer auf einer Gedenktafel.
Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay

Auch als die Geiselnahme schon im Gang war, versagte die deutsche Polizei, wie aus Akten und Aussagen damals beteiligter Beamter hervorgeht. Ein Hilfsangebot der israelischen Eliteeinheit Sayeret Matkal, die auf Geiselbefreiungen spezialisiert ist, lehnte Deutschland ab. Stattdessen schickte man 20-jährige Verkehrspolizisten ins Gefecht, die mit dem Einsatz heillos überfordert waren und sich letztlich kommandowidrig zurückzogen. Alle Geiseln starben.

Deutsche Neonazis halfen

Dass die Witwen, Kinder, Eltern und Geschwister der Athleten bis heute auf eine offizielle Entschuldigung warten und für eine angemessene Entschädigung kämpfen, liegt auch daran, dass Deutschland jahrzehntelang so tat, als wäre das Attentat nichts anderes als der Import eines ausländischen Konfliktes auf deutschen Boden. Dem stehen Akten gegenüber, aus denen hervorgeht, dass deutsche Neonazis den Palästinensern bei der Tatvorbereitung halfen. Lange Zeit galt das München-Massaker als vorübergehende Störung der "heiteren Spiele" von 1972, die nach der Ermordung der elf Athleten und eines deutschen Polizisten einfach fortgeführt wurden, als wäre nichts geschehen. Als Störenfriede behandelten die deutschen Behörden auch die Hinterbliebenen der Athleten, die jahrzehntelang um Akteneinsicht kämpften – und eben um finanzielle Kompensation.

Der deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher in Verhandlungen mit den Attentätern.
Foto: EPU / AFP

Bis vor kurzem sah es so aus, als sei keine Annäherung zwischen deutscher und israelischer Seite möglich. Der Boykott der Gedenkfeier, der auch ein Fernbleiben des israelischen Staatspräsidenten bewirkt hätte, galt als so gut wie fix. Wenige Tage vor der Feier gelang nun der Kompromiss: Rund 28 Millionen Euro wird Deutschland den Angehörigen zahlen, wobei ein Teil davon in Deutschland bleiben wird – bei einer Anwaltskanzlei, die bevollmächtigt war, für die Angehörigen um eben jene Entschädigung zu kämpfen.

Lückenhaft erforscht

Zuletzt war der Konflikt einer Eskalation nahe. Die Angehörigen erwogen, sich die Kompensation auf dem Gerichtsweg zu erstreiten. In diesem Fall wäre es für Deutschland womöglich kostspieliger geworden. Zudem wäre das Polizeiversagen im Zuge des Gerichtsverfahrens im Detail vor der Öffentlichkeit ausgebreitet worden.

Da die Ermittlungsakten lange Zeit unter Verschluss waren, sind die Ereignisse rund um das Attentat historisch nur lückenhaft erforscht. Auch das war eine Forderung der Angehörigen: "Ich will endlich wissen, wie mein Mann ums Leben kam", sagte Ankie Spitzer im STANDARD-Gespräch. Teil der Einigung zwischen der deutschen Bundesregierung und den Angehörigen ist nun, dass eine deutsch-israelische Historikerkommission nahezu vollständigen Zugang zu den Archiven bekommen soll. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung sollen öffentlich werden. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 2.9.2022)