Am 4. August trat Viktor Orbán noch bei der US-Rechtenveranstaltung CPAC auf. Dann ging es in einen langen Urlaub.

Foto: Imago / Pacific Press Agency / Lev Radin

Noch nie war Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in seiner Amtszeit so lange am Stück auf Urlaub. Nach gut dreieinhalb Wochen des Erholens, Bootsfahrens und Dinierens in der malerischen Inselwelt Dalmatiens meldete sich der Rechtspopulist am Donnerstag über Facebook zurück. "Es läutet, die Pause ist zu Ende", ließ er im Schul-Jargon zum Foto dazuschreiben. Es zeigt ihn immer noch im Urlaubsoutfit – buntes Hawaii-Hemd, schlohweißer Bart, weiß gewordenes Haar –, in einer rustikalen Küche sitzend. In Händen hält er die aktuelle Ausgabe der Sporttageszeitung "Nemzeti Sport".

Über Orbáns Urlaubsreise in die schöneren Teile des Nachbarlands Kroatiens gab es offiziell keine Mitteilungen: weder über Beginn, Dauer, Reiseziele noch über die eventuelle Begleitung. Dass das ungarische Publikum dennoch dies und jenes erfuhr, ist dem Umstand zu verdanken, dass der urlaubende Regierungschef mehr oder weniger inszenierte Spuren in den Sozialen Medien hinterließ.

Dinner mit Milanović

Schon in den vergangenen Jahren liebten es die Besitzer kroatischer Edel-Restarurants an der Küste und auf den Inseln, die Selfies mit Orbán auf ihren Instagram-Accounts zu posten, wenn der prominente Gast bei ihnen einkehrte. So sah man ihn heuer auf der Insel Brač in kurzer Hose sowie im selben Hawaii-Hemd, in dem er sich dreieinhalb Wochen später nach seiner Rückkehr präsentierte. Auf der Insel Ilovik posierte Orbán in einem über dem weißen T-Shirt offenen Hemd, was seinen beträchtlich angewachsenen Bauch unvorteilhaft zur Geltung brachte. Auf einer der Pakleni-Inseln dinierte er mit dem kroatischen Staatspräsidenten Zoran Milanović. Der ehemalige Sozialdemokrat positioniert sich schon seit geraumer Zeit als Populist, der um die Gunst der Ultra-Nationalisten und Corona-Schwurbler in seinem Land buhlt.

Orbáns Spuren in den Social Media nahmen zunehmend bizarre Züge an. Von Posting zu Posting erstand ihm ein Stoppelbart, der sich zum Vier-Tage-Bart und schließlich zum Vollbart auswuchs. In einer Bucht der Insel Vis gab der Außenbordmotor seines Schlauchboots den Geist auf. Der pensionierte kroatische Journalist Boris Vrkić rettete den Schiffbrüchigen und brachte ihn in seinem Fischerboot sicher ans Ufer. Das Selfie mit ihm ließ er umgehend seiner ehemaligen Zeitung, der links-liberalen "Slobodna Dalmacija" in Split, zukommen. Aus seinem Bericht erfuhren die daheimgebliebenen Ungarn, dass Orbán lediglich mit seiner Ehefrau Anikó und einem Leibwächter unterwegs war.

Premier mit der Schirmmütze

Auf der weit entlegenen Adria-Insel Lastovo stieß wiederum der Abgeordnete Zsolt Németh zu ihm, zusammen mit Orbán einer der Mitbegründer der heutigen Regierungspartei Fidesz. Németh postete auf seinem Facebook-Account ein Bild, das ihn und Orbán mit auffälligen Sonnenbrillen und Schirmmützen zeigt. In Orbáns reflektierenden Augengläsern spiegelt sich der Hafen des Örtchens Zaklopatica. "Kroatien, Sommer, Erholung", schrieb Németh knapp unter das Bild.

Orbáns sorgfältig gestreute Urlaubsfährte soll offenbar suggerieren: Ich bin einer von euch, der sich so wie ihr an den Gestaden Kroatiens von den Mühen des Arbeitsjahres erholt. Zumindest die für ihn wichtige Mittelklasse kann sich darin wiedererkennen – mehr als die Hälfte der Ungarn kann sich ohnehin keinen Urlaub leisten.

Last der Alleinverantwortung

Anzeichen deuten aber darauf hin, dass der 59-jährige Orbán nach zwölf Jahren quasi Alleinherrschens den langen Urlaub tatsächlich brauchte. Das in der Regel gut informierte Boulevardblatt "Blikk" zitierte am Dienstag eine nicht näher genannte Person aus dem Umfeld Orbáns mit den Worten: "Er war müde, erschöpft und brauchte eine längere Ruhephase." Der Dauerstress der Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, der ewige Konflikt mit der EU, die Parlamentswahl im April hätten "von einem jeden ihren Tribut gefordert".

Immerhin hatte es Orbán auch geschafft, alle diese Krisen dazu zu nützen, um seine persönliche Macht auszubauen und Demokratie und Rechtsstaat weiter zu zerstören. Die gewaltige Energie- und Wirtschaftskrise im Gefolge des von Russland gestarteten Angriffskriegs gegen die Ukraine wird aber auch Ungarn – trotz Orbáns prorussischer Politik – nicht verschonen.

Auf Ungarns Machthaber lastet nahezu die alleinige Verantwortung. Im langen Kroatien-Urlaub mag er seine Kräfte aufgetankt haben – brauchen wird er sie auf jeden Fall. Nun jedenfalls kann "die Hacke wieder beginnen", teilte ein rasierter Orbán am Donnerstagabend wieder via Facebook mit. (Gregor Mayer aus Budapest, 1.9.2022)