Mit drei Impfungen ist die Grundimmunisierung abgeschlossen. Jetzt geht es um die Auffrischung.

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Es solle eine Vereinfachung der Impfempfehlung sein, erklärte Herwig Kollaritsch, Infektiologe und Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG), am Beginn der Pressekonferenz am Mittwoch. Verkündet wurde die Empfehlung einer Auffrischungsimpfung – also der vierte Stich – für alle ab zwölf. Tatsächlich war die erste Reaktion aber noch mehr Verwirrung, als ohnehin schon rund um das gesamte Impfthema herrscht. Und vor allem eine Frage hat viele beschäftigt: Warum jetzt? Zu überraschend war die Ankündigung, für die es auch keine internationalen Vorbilder gibt.

Für weitere Unklarheit sorgte, dass Expertinnen und Experten differenziert auf die Empfehlung reagierten. Virologin Dorothee von Laer etwa – die selbst noch nie infiziert war, aber dreimal geimpft ist – sagte im Ö1-Morgenjournal, aufgrund ihres hohen Antikörpertiters von mehr als 2000 hole sie sich jetzt noch nicht den vierten Stich – und man könne durchaus so vorgehen.

Vereinfachter Zugang

Tatsächlich hat das NIG die Auffrischungsempfehlungen jetzt gelockert, wie Kollaritsch dem STANDARD gegenüber präzisiert, "weil es keinen Sinn macht, eine Gruppe auszuschließen. Das heißt nicht, dass jetzt alle wie verrückt zur Impfung rennen müssen. Aber wenn sich jemand die Impfung holen möchte, soll er oder sie das tun können ohne das Gefühl, damit gegen eine Empfehlung zu verstoßen." Und er betont, es sei völlig klar, dass ein junger Mensch lockerer mit dieser Empfehlung umgehen könne als ein älterer, der womöglich schon eine Vorerkrankung habe.

Fakt sei, man habe bei keiner Impfung so ein differenziertes Schema wie bei jener für Covid-19: "Das macht einfach keinen Sinn. Natürlich ist es ein gewisser Pragmatismus, das anzugleichen. Aber es bringt nichts, wenn jeder Mensch sein individuelles Impfschema hat." Man müsse außerdem strategisch denken, ergänzt der Infektiologe, der Herbst stehe bevor "und wir haben in den vergangenen Jahren gelernt: Im Herbst geht die Post ab."

Individuelle Entscheidung

Am Ende bleibe es eine individuelle Entscheidung, sagt Kollaritsch, aber: "Das größte Problem habe ich damit, wenn die Impfempfehlungen zu restriktiv sind und Impfwillige deshalb nicht immunisiert werden. Wir schaffen nur die Rahmenbedingungen, damit die Menschen eigenverantwortlich mit diesen Empfehlungen umgehen können."

Insgesamt sei diese Entscheidung nachvollziehbar. Molekularimmunologe Andreas Bergthaler von der Med-Uni Wien etwa betont, dass sich Impfgremien ihre Entscheidung sicher nicht leichtmachen, vor allem jene für die jüngere Bevölkerungsgruppe. "Bei dieser muss man ja das Nutzen-Kosten-Verhältnis besonders genau abwägen, weil sie nicht so anfällig ist für schwere Krankheitsverläufe."

Auch Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien sieht die angepasste Empfehlung "grundsätzlich positiv", aber sie gehe an einer wichtigen Thematik vorbei: "Wir müssen endlich die Leute erreichen, die noch gar keine Impfung haben." Ob Menschen etwas früher oder später ein viertes Mal geimpft werden, habe im Vergleich zur Frage, ob sich Menschen überhaupt eine Grundimmunisierung holen, kaum Bedeutung.


Wer sich wann den vierten Stich holen soll

Kinder und Jugendliche: Vierter Stich ab zwölf Jahren

Zu Schulbeginn sollen Kinder zwischen fünf und elf Jahren eine abgeschlossene Grundimmunisierung mit drei Impfungen haben, empfiehlt das NIG. Eine Auffrischung wird allen ab zwölf Jahren angeraten. Für Babys und (Klein-)Kinder bis vier Jahre gibt es noch keinen zugelassenen Corona-Impfstoff.

  • Nach drei Corona-Impfungen: Für alle ab zwölf, deren dritte Impfung mindestens sechs Monate zurückliegt, wird die vierte Impfung empfohlen. Zeitdruck herrscht allerdings nicht, da in dieser Altersgruppe schwere Verläufe extrem selten sind. Für Kinder zwischen fünf und elf Jahren gibt es derzeit nach drei Immunisierungen keine weitere Empfehlung.
  • Nach zwei Corona-Impfungen: Für Kinder ab fünf Jahren und Jugendliche gilt: Nach zwei Impfungen, sollte nach sechs Monaten die dritte Impfung erfolgen, um die Grundimmunisierung abzuschließen.
  • Nach drei Corona-Impfungen plus Infektion: Laut NIG sollte das Impfschema, unabhängig von Infektionen, eingehalten werden. Das bedeutet für alle ab zwölf Jahren: Ist die dritte Impfung mindestens sechs Monate her, ist der vierte Stich jederzeit möglich.
  • Nach zwei Corona-Impfungen plus Infektion: Für alle ab fünf Jahren wird eine dritte Impfung – unabhängig vom Zeitpunkt der Infektion – sechs Monate nach der zweiten Impfung empfohlen.
  • Nach einer oder mehreren Infektionen: Ab fünf Jahren wird die Grundimmunisierung angeraten. Eine Impfung ist nach Infektion ab dem Zeitpunkt des negativen PCR-Test-Ergebnisses möglich.

Zwölf- bis 59-Jährige: Viertstich je nach Ausgangslage

Alle Impfwilligen sollen sich eine Auffrischung holen können – deshalb hat das NIG die Empfehlungen gelockert. Infektiologe Herwig Kollaritsch betont aber, "dass der Zeitrahmen individuell verschieden ist. Man muss das persönliche Gefährdungsausmaß mit einbeziehen." Trifft man regelmäßig viele Menschen, ist die Gefahr einer Infektion höher, als wenn man eher zurückgezogen lebt.

Auf den an Omikron angepassten Impfstoff braucht man mit der Impfung nicht warten. Dieser wurde aber am Donnerstag von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen und wird wahrscheinlich kommende Woche nach Österreich geliefert.

  • Nach zwei Corona-Impfungen: Wichtig für einen langfristigen Schutz vor schwerer Infektion ist eine abgeschlossene Grundimmunisierung. Deshalb sollte man sich den dritten Stich spätestens sechs Monate nach dem zweiten holen.
  • Nach drei Corona-Impfungen: Sechs Monate nach der dritten Impfung ist die Auffrischung möglich und empfohlen. Nach individuellen Voraussetzungen kann man den Zeitraum für den vierten Stich anpassen.
  • Nach Impfung und Infektionen: Infektionen werden in der aktuellen Empfehlung nicht berücksichtigt, man kann jederzeit auffrischen. Normal gesunde Menschen sind nach einer Ansteckung mit Omikron (außer der BA.1-Variante) aber recht gut geschützt. Da wahrscheinlich bald der an BA.5 angepasste Impfstoff kommen wird, könnte man darauf warten. Das sollte die Immunität weiter verbessern.

Ältere und Risikogruppen: Impfungen in kürzeren Intervallen

Älteren Menschen ab 60 und jenen mit Risikofaktoren wird schon länger dringend zur vierten Impfung geraten, daran ändert auch die neueste Empfehlung des NIG nichts. Der Unterschied zu jüngeren und/oder gesunden Menschen liegt in den Intervallen zwischen den Viruskontakten.

Bei älteren Menschen wirken Impfungen grundsätzlich nicht so gut, und der Impfschutz ist nicht so lange anhaltend wie bei jüngeren. "Das ist nichts Neues. Man kennt das von anderen Impfungen wie etwa der Grippeimmunisierung", erklärt Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien. Deshalb sollten die Intervalle zwischen den Impfungen bei dieser Personengruppe tendenziell kürzer sein. Ganz konkret bedeutet das:

  • Nach zwei Corona-Impfungen: Die dritte Impfung sollte vier Monate nach der zweiten erfolgen, damit ist die Grundimmunisierung abgeschlossen.
  • Nach drei Corona-Impfungen: Vier Monate nach der letzten Schutzimpfung kann und sollte laut NIG die vierte Impfung off-label verabreicht werden.
  • Nach vier Corona-Impfungen: Expertinnen und Experten empfehlen derzeit auch nach der Auffrischung ein Intervall von vier Monaten. Schwer immunsupprimierte Personen sollten je nach individueller Situation weitere Immunisierungen erhalten.
  • Nach Infektionen: Die Impfintervalle werden durch Infektionen nicht unterbrochen. Sobald der PCR-Test negativ ist, kann geimpft werden – spätestens aber vier Monate nach der Infektion, so die Empfehlung. (Jasmin Altrock, Pia Kruckenhauser, Magdalena Pötsch, 2.9.2022)