Ludwig sieht Schnitzer bei der Wien Energie: "Ich werde der Geschäftsführung ans Herz legen, sich kommunikativ etwas anders aufzustellen."

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Die Zurückhaltung Michael Ludwigs in der Causa Wien Energie ist vorüber. War der Bürgermeister Anfang der Woche abgetaucht, geht er nun in die Offensive. Dass er den 1,4-Milliarden-Euro-Kredit Wiens für den Konzern im Alleingang beschlossen und die Öffentlichkeit nicht darüber informiert hat, hält er für angemessen.

STANDARD: Sie haben der Wien Energie Mitte Juli ein erstes Darlehen über 700 Millionen Euro genehmigt. Am 29. August kamen weitere 700 Millionen Euro dazu. Warum haben Sie das in Alleinregie und im Geheimen per Notkompetenz beschlossen – und nicht umfangreich informiert?

Ludwig: Die Notkompetenz ist in der Stadtverfassung so vorgesehen, wenn es die Situation erfordert – mit der Auflage, die zuständigen Gremien ehebaldigst zu informieren. Im Sommer ist sitzungsfreie Zeit. Der Beschluss folgt in den September-Sitzungen des Finanzausschusses, des Stadtsenats und des Gemeinderats.

STANDARD: Im Sommer wurden in Wien aber auch andere Beschlüsse gefasst, wo zuvor sehr wohl informiert wurde. Die Nichtzustimmung zur Änderung des Zahnärztegesetzes wurde per Umlaufbeschluss im Stadtsenat – unter Einbeziehung der vertretenen Fraktionen – getroffen. Wie passt das zusammen?

Ludwig: Das war eine Korrektur einer bestehenden Vorlage, hier musste Wien als Land tätig werden. Die Beschlussfassung über die 700-Millionen-Euro-Kredite soll dem regulären Weg folgen. Aber hier agiert Wien als Stadt.

STANDARD: Auch der Vertrag mit dem Bund über den Zwei-Milliarden-Euro-Kredit wurde per Umlaufbeschluss fixiert. Warum ging das hier – und nicht bei den Wiener Darlehen im Juli?

Ludwig: Wien ist Stadt und Bundesland. Im Fall des Zwei-Milliarden-Euro-Kredits des Bundes war die Landesregierung betroffen. Hier ist ein anderer formeller Weg vorgesehen als bei der Notkompetenz, die ich als Bürgermeister der Stadt ausübe.

STANDARD: Die Notkompetenz hält Sie aber nicht davon ab, die Parteien und die Öffentlichkeit zu informieren. Warum passiert das nicht?

Ludwig: Ich finde es richtig, dass man zunächst die zuständigen Gremien informiert. Man hätte einen Gemeinderat einberufen können. Vom Fristenlauf wäre das aber nicht schneller als September gewesen.

STANDARD: Sehen Sie hier keinen Änderungsbedarf? Die Neos tun das ja schon.

Ludwig: Ich halte die aktuelle Vorgangsweise für richtig.

Heribert Corn

STANDARD: Am Dienstag haben Sie eine Pressekonferenz gegeben und da sehr wohl vom Wiener 1,4-Milliarden-Euro-Schutzschirm für die Wien Energie gesprochen. Sie haben es erst da öffentlich gemacht.

Ludwig: Ja, wir haben einen Schutzschirm errichtet. Das habe ich dort kommuniziert.

STANDARD: Hätte es diesen Preisanstieg an den Börsen und die Krisensitzung nicht gegeben, hätte die Öffentlichkeit nicht davon erfahren?

Ludwig: Es wäre immer notwendig gewesen, das nachträglich in den Gremien zu beschließen. Selbstverständlich wäre es den zuständigen Gremien berichtet worden.

STANDARD: Ihr pinker Koalitionspartner, Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr, gibt an, dass er erst nachträglich von Ihrer Genehmigung der Kredite und der Schieflage der Wien Energie erfahren hat. Haben Sie da vorab keinen Gesprächsbedarf gesehen?

Ludwig: In schwierigen Zeiten ist es im Kompetenzbereich des Bürgermeisters, Entscheidungen zu treffen. Das habe ich getan. Die Neos haben am selben Tag davon erfahren, es ist keine negative Rückmeldung gekommen. Es hat übrigens nie eine finanzielle Schieflage der Wien Energie gegeben. Der erste Kredit von Juli ist Ende August abgerufen worden. Diesen Schutzschirm haben wir uns vom Bund erwartet. In der Schweiz gibt es das, in Deutschland wurde ein Schutzschirm über 100 Milliarden Euro gespannt. Zuletzt hat sich die Preisentwicklung gedreht. Wir brauchen bis jetzt überhaupt keine Mittel des Bundes.

STANDARD: Wie schlecht ist die Stimmung innerhalb der rot-pinken Koalition?

Ludwig: Die Stimmung ist sehr gut.

Ludwig über den Koalitionspartner: "Die Neos haben am selben Tag vom Kredit erfahren, es ist keine negative Rückmeldung gekommen."
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STANDARD: Dass weder Sie noch Stadtrat Peter Hanke am Energiegipfel teilgenommen haben, hat das Verhältnis zwischen Wien und Bund nicht verbessert.

Ludwig: Angekündigt war ein Expertengespräch mit dem Bund, es war kein einziger Landespolitiker – aus keinem Bundesland – vorgesehen. Richtig ist, dass der Stadtrat kurzfristig gefragt wurde, ob er dabei sein will. Er war zu dem Zeitpunkt im Ausland und hätte sich zuschalten können. Es war aber nicht einsichtig, warum er das als einziger Landespolitiker tun sollte.

STANDARD: Weil die Wien Energie der einzige Energieversorger ist, der einen derartigen Finanzbedarf angemeldet hat. Der Eigentümervertreter, die Stadt, war nicht am Tisch. Warum?

Ludwig: Ursprünglich haben auch andere Energieversorger angemeldet, dass es sinnvoll wäre, auf gemeinsame Lösungen zu kommen. Übrig geblieben ist die Wien Energie. Die Einschätzung der Geschäftsleitung war etwas zu vertrauensvoll, was das Gesprächsklima mit der Bundesregierung betrifft. Es ist ein kommunikatives Versäumnis der Wien Energie, dass sie Finanzminister Magnus Brunner allein am Sonntagabend die Interpretation der Situation überließ.

STANDARD: Wird es Konsequenzen geben?

Ludwig: Ich werde der Geschäftsführung ans Herz legen, sich kommunikativ etwas anders aufzustellen.

STANDARD: Wien war auch nicht bei der Verkündung des Zwei-Milliarden-Euro-Kredits dabei. Warum haben Sie die Kommunikation völlig dem Bund überlassen?

Ludwig: Auch da war ich nicht eingeladen, nur der Stadtrat wurde sehr kurzfristig geladen. Selbst wenn ich eingeladen gewesen wäre: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich an dieser Inszenierung teilgenommen hätte.

STANDARD: Können Sie Spekulation bei der Wien Energie ausschließen?

Ludwig: Die Geschäftsleitung dementiert jede Art von Spekulation, und ich habe keine Veranlassung, das zu bezweifeln. Es wurde glaubwürdig dargestellt, dass es keine Leerverkäufe gab. Namhafte Expertinnen und Experten haben das mittlerweile bestätigt.

Ludwig schließt Spekulation bei der Wien Energie aus: "Die Geschäftsleitung dementiert jede Spekulation. Ich habe keine Veranlassung, das zu bezweifeln."
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STANDARD: Ausgehend von der Lage, die sich gegenwärtig darstellt: Wie hat sich Wien auf diesen Winter in der Energiekrise vorbereitet?

Ludwig: Die Gasspeicher sind zu 91 Prozent gefüllt, mehr als in allen anderen Teilen Österreichs. Und wir haben mit der Wien Energie sichergestellt, dass jene Haushalte, denen von privaten Energiefirmen gekündigt wurde, beliefert werden. Im Juli wurden bei der Wien Energie 28.000 neue Verträge unterschrieben.

STANDARD: Dennoch gibt es Preissteigerungen bei der Wien Energie und Gebührenerhöhungen. Gleichzeitig fordert Ihre Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner Maßnahmen gegen die Teuerung. Sehen Sie da keine Diskrepanz?

Ludwig: Die sehe ich nicht, weil die Tarife der Wien Energie im Vergleich sehr günstig sind. Ungeachtet dessen plädieren wir für einen Energiepreisdeckel. Bisher war die Regierung nicht bereit, in den Markt einzugreifen.

STANDARD: Hängen bleibt: In Wien, wo die SPÖ selbst etwas gegen die Teuerung tun könnte, bittet man die Bevölkerung zur Kasse. Im Burgenland hat Hans Peter Doskozil auf eine Erhöhung der Strom- und Gaspreise verzichtet.

Ludwig: Auch im Burgenland wird es im Jänner einen Preissprung geben.

STANDARD: Misstöne hat es nicht nur zwischen Neos und SPÖ gegeben. Es gab auch Ärger mit den Grünen. Ist eine etwaige Ampelkoalition im Bund für Sie wahrscheinlich?

Ludwig: Wir treten bei der nächsten Nationalratswahl nicht als Koalition an, sondern als Sozialdemokratie. Man wird dann sehen, wie das Ergebnis ist und wer in den jeweiligen Parteien politische Verantwortung trägt. Rendi-Wagner wird als Spitzenkandidatin ein gutes Ergebnis erzielen. Es ist sehr positiv, dass sie in den Meinungsumfragen vor Kanzler Karl Nehammer liegt.

STANDARD: Was wäre Ihnen lieber? Rot-Schwarz oder Rot-Grün-Pink?

Ludwig: Die Koalitionsfrage ist eine Frage der Inhalte und nicht der Emotionen. (Stefanie Rachbauer, David Krutzler, 1.9.2022)