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Ohne den Bund hätte die Wien Energie ihre Termingeschäfte nicht mehr mit Sicherheiten unterlegen können.

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Lange blieb der Chef von Wien Energie, Michael Strebl, in Deckung. Am Donnerstag nahm er erstmals Stellung zur kritischen Situation des Unternehmens, das um Staatshilfe ansuchen musste. Man habe eine Art Aufgabenteilung vorgenommen, sagte er: Aufsichtsratschef Peter Weinelt habe den Part übernommen, nach außen zu kommunizieren, er selbst jenen, nach innen zu agieren.

Frage: Warum hat Wien Energie erst so spät auf die missliche Lage hingewiesen?

Antwort: Bisher lagen die zu hinterlegenden Sicherheiten im schlimmsten Fall im zweistelligen Millionenbereich. Den ersten großen Brocken gab es am 21. Juli (damals war die Postseepipeline Nord Stream 1 wartungsbedingt gesperrt), hohe Ausschläge bei Gas- und Strompreisen und 500 Millionen Euro Absicherungsbedarf an einem Tag. Das konnte Wien Energie mittels Notkompetenz des Wiener Bürgermeisters stemmen wie auch den Rekord Margin Call am vorigen Donnerstag (ebenfalls 500 Millionen) und am Freitag die inzwischen berühmten 1,75 Milliarden, die am Montag überwiesen wurden.

Frage: Wann hat die Muttergesellschaft Wiener Stadtwerke Geschäfte besichert?

Antwort: Das lässt sich so genau nicht sagen, weil über die "interne Bank" der Wiener Stadtwerke, das sogenannte Cash-Pooling, liquide Mittel von Tochterunternehmen, also auch von Wien Energie, abgerufen werden können – für Investitionen, das laufende Geschäft, aber auch zur Besicherung von Termingeschäften. Wien Energie hat sich im Juli an die Stadtwerke gewandt, als wegen der schon damals stark steigenden Strompreise die Sicherheiten an der Börse deutlich aufgefettet werden mussten. Daraufhin hat sich das Management der Stadtwerke an den Eigentümer Stadt Wien gewandt. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat am 15. Juli 700 Millionen Euro an Garantien auf den Weg gebracht, die aber erst in der Vorwoche abgerufen wurden.

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Wien Energie, Michael Strebl.

Frage: Warum wurde und wird so viel Strom so lange im Voraus verkauft? Lange Laufzeiten erhöhen das Risiko bei Terminverkäufen enorm, wie sich jetzt zeigt.

Antwort: Wäre das Volumen eingeschränkt worden, hätte man auf Deckungsbeiträge verzichten müssen, die aufgrund der hohen Strompreise winkten, sagt die Wien-Energie-Geschäftsführung. Dass die Preise vorige Woche so nach oben gingen und mit 1000 Euro je Megawattstunde alles Bisherige sprengen würden, sei nicht absehbar gewesen.

Frage: Wann wurden die letzten Termingeschäfte abgeschlossen, die jetzt so unter Wasser und existenzbedrohend sind?

Antwort: Zwei Jahre rollierende Kontrakte seien Teil der Strategie von Wien Energie, die auf bestmögliche Absicherung von Preisen und Planbarkeit ausgerichtet sei, heißt es.

Frage: Wurden heuer auch solche Verträge abgeschlossen?

Antwort: Ja, Termingeschäfte werden an der Börse täglich gemacht. Das "Problem" am Freitag sei gewesen, dass die Strompreise durch die Decke gegangen (plus 37 Prozent zum Vortag), die Gaspreise aber nur um sieben Prozent gestiegen seien. Damit konnte das Guthaben, das man durch die Terminkontrakte bei Gas hatte, die zusätzlich geforderten Sicherheiten bei Strom bei weitem nicht ausgleichen. Mit einem Schlag waren 1,75 Milliarden fällig.

Frage: Der bei der Fernwärme miterzeugte Strom könnte auch am Spotmarkt verkauft werden. Warum hat man mit Beginn des Ukraine-Krieges nicht geswitcht?

Wien Energie erzeugt vor allem im Winter quasi als Nebenprodukt von Wärme viel Strom, mehr Strom als benötigt wird und verkauft diesen überwiegend über die Börse. das sei am Sichersten, weil mit Sicherheiten unterlegt. Gerade diese Sicherheitsanforderungen sind zuletzt aber stark gestiegen.
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Antwort: Ja, Wien hätte den überschüssigen Strom am Spotmarkt verkaufen können, wie das andere Anbieter tagtäglich tun. Das Risiko ist gering, der Verkäufer muss keine Sicherheiten hinterlegen. Ein Verkauf Over the Counter (OTC), also ein außerbörslicher bilateraler Kontrakt, wäre natürlich möglich, sagt Wien Energie. Allerdings wäre das Risiko aufgrund der Preisschwankungen sehr hoch. Mit Börsenhandel vertraute Fachleute halten dagegen, dass Wien Energie auf dem Spotmarkt mit dem Strom vielleicht weniger verdient, aber kein langfristiges Risiko und keinen großen Liquiditätsbedarf hätte.

Frage: Bürgermeister Michael Ludwig betonte im Ö1-Radio, es sei bisher kein Steuergeld geflossen. Wie ist das möglich, wenn das Stadtoberhaupt per Notkompetenz im Juli und August je 700 Millionen Euro an Haftungen für Kredite freigegeben hat?

Antwort: Die vom Bürgermeister per Notkompetenz gewährte Hilfe ist selbstverständlich auch Steuergeld, denn die Bundesländer bekommen ihre Budgets – mangels nennenswerter eigener Steuereinnahmen – aus dem Bundesbudget. Auch wenn es Haftungen gewesen sind, handelt es sich jedenfalls um Steuergeld, das zwar physisch (noch) nicht geflossen ist, aber im Ernstfall beim Abgreifen der Terminkontrakte fällig wird.

Frage: Warum war ein Umlaufbeschluss für das über die Bundesfinanzierungsagentur Öbfa bereitgestellte Darlehen des Bundes möglich, während dies für die zwei Mal gewährten 700 Millionen Euro im Juli und August nicht möglich war?

Antwort: Die SPÖ beziehungsweise der Magistrat begründen dies mit Wiens Doppelrolle. Der Vertrag über den Kredit mit der Bundesfinanzierungsagentur sei deshalb per Umlaufbeschluss geschlossen worden, weil Wien hier als Bundesland und nicht als Stadt agiert habe. Nur das Land Wien könne derartige Verträge abschließen. Dafür brauche es jedenfalls eine Genehmigung der Landesregierung – als Mittel sei der Umlaufbeschluss gewählt worden. Die Regierungsparteien SPÖ und Neos haben ihn angenommen, damit hat er die notwendige Mehrheit. Die Opposition hält dagegen, dass ein derartiger Umlaufbeschluss im Stadtsenat sehr wohl auch für die beiden 700-Millionen-Euro-Darlehen der Stadt an die Wien Energie möglich gewesen wären. (Günther Strobl, Luise Ungerboeck, Stefanie Rachbauer, 2.9.2022)