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Wien – Der Vorstand des österreichischen Stromnetzbetreibers Austrian Power Grid (APG), Gerhard Christiner, sieht das Merit-Order-System zur Strompreisberechnung nicht als überholt an, sieht aber angesichts der hohen Preise die Politik in der Pflicht. "Natürlich, wenn man jetzt diese extremen Preise sieht, dann ist die Politik gefordert zu handeln. Man muss aber aufpassen und sich gut überlegen, wie man hier eingreift. Sonst richtet man noch größeren Schaden an", sagte Christiner dem "Kurier" vom Freitag.

Christiner weist aber auch darauf hin, dass das Merit-Order-System "nach oben keine Grenzen" kenne. Daher könnte der Energiepreis in den kommenden Monaten noch einmal deutlich zulegen, sollte es zu einer "extremen Verknappung" im Winter kommen. Dass Strom und Gas im Winter knapp werden könnten, sei eine Sorge der APG. "Die Preisausschläge an den Strombörsen sind auch ein solches Knappheitssignal", sagte Christiner den "Salzburger Nachrichten" vom Freitag. Der Winter werde jedenfalls eine große Herausforderung für ganz Europa.

Merit-Order in Kritik geraten

Im Zuge der Causa Wien Energie sowie der massiven Preissteigerungen bei Gas und Strom ist in den vergangenen Wochen der Ruf nach einer Änderung des Systems laut geworden. Unter anderem bezeichnete ÖBB-Chef Andreas Matthä das System als "nicht mehr zeitgemäß". FPÖ-Chef Herbert Kickl kündigte am Freitag einen Antrag zur Aussetzung des Merit-Order-Systems an.

Auch der Präsident der Wirtschaftskammer (WKO), Harald Mahrer, sprach sich am Freitag gegenüber der "Kleinen Zeitung" kritisch gegenüber der Merit-Order aus. "Die Preisfindung am Markt findet nicht mehr unter normalen Gegebenheiten statt, Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen", so Mahrer. Es brauche ein Design, das den "Strompreis wieder vernünftig definiert". Dafür brauche es entweder einen neuen "Algorithmus, wie die Preisfindung an der Strombörse stattfindet", oder man müsse wie Spanien und Portugal einen Gaspreis festsetzen und die Differenz zum Marktpreis subventionieren.

Gaskraftwerke bestimmen den Preis

Bei der Merit-Order bestimmt das teuerste Kraftwerk den Preis für Strom. Das heißt, es werden die Kraftwerke der Reihe nach zugeschaltet, bis der entsprechende Bedarf gedeckt ist. Zuerst wird das günstigste Kraftwerk eingeschaltet, dann das zweitgünstigste, und so weiter, bis letztlich genügend Strom zur Verfügung steht.

Das letzte zugeschaltete Kraftwerk ist demnach das teuerste, derzeit sind es Gaskraftwerke. Damit hat der Betreiber des günstigsten Kraftwerks den höchsten Gewinn. Das System hat dazu beigetragen, dass die Wien Energie vergangene Woche in eine finanzielle Notlage geriet. Durch einen massiven Strompreisanstieg fehlte die nötige Liquidität für stark gestiegene Sicherheitsleistungen am Terminmarkt für Strom, das Unternehmen musste den Bund um Hilfe bitten.

Dass andere Energieversorger in die gleichen Schwierigkeiten wie die Wien Energie geraten könnten, bezweifelt Christiner: "Ich glaube, wir haben in Österreich nicht so viele Unternehmen, die diese Volumina am Strommarkt bewegen." (APA, red, 2.9.2022)