Mittlerweile hat Hermine im Kulturbereich Fuß gefasst. Dort ist sie in Projekten tätig, auf eine Fixanstellung hat sie derzeit keine Aussichten. Trotzdem: In die Schule will sie nicht mehr zurückkehren. Darüber ist sie sich im Klaren. "Ich rechne damit, dass das Mittelschulsystem sehr bald an die Wand fährt, und ich werde nicht dabei zuschauen", sagt sie. Hermine ist Ende 20 und heißt eigentlich anders. Wie die anderen Lehrenden, mit denen der STANDARD gesprochen hat, will sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Vier Jahre lang hat die junge Frau in einer Mittelschule in St. Pölten unterrichtet – bis zum Juni 2021. Dann hat sie den Lehrerjob hingeschmissen. Die Mankos des Regelschulsystems seien ihr schon während ihres Studiums aufgefallen. Bereits als sie den Job angetreten sei, habe sie gewusst, "dass ich nicht lange bleiben werde", erzählt sie. Es drehe sich immer noch alles um Leistungsfächer, für kreative Fächer oder das soziale Lernen gebe es keinen Raum. "Es hat mir widerstrebt, dass solche essenziellen Punkte unter den Teppich gekehrt wurden", ärgert sie sich.

Die österreichische Realität im Lehrberuf könnte nicht weiter von den Stereotypen entfernt sein.

Schlechtes Image

Neun Wochen Sommerferien, mit Kindern lernen, vereinzelt Hausübungen am frühen Nachmittag korrigieren und den restlichen Tag faulenzen: Der Pädagogenjob hat hierzulande keine gute Nachrede. Das weiß auch Bildungsforscherin Christiane Spiel von der Universität Wien. "Wir haben in unserer Kultur und in unserer Gesellschaft weder zum System Schule noch zu Lehrerinnen und Lehrern eine positive Haltung." Österreich habe verabsäumt, "am Image des Berufs zu arbeiten". Andere Länder bekämen das besser auf die Reihe. "Besonders in Ländern, deren Schulkinder bei Pisa-Studien gut abschneiden, haben Pädagoginnen und Pädagogen ein besseres Standing. Dort bewerben sich die Besten der Abschlussklassen um einen Studienplatz – viel mehr, als aufgenommen werden."

Die österreichische Realität im Lehrberuf könnte nicht weiter von den Stereotypen entfernt sein. Davon zeugen Schilderungen von Lehrkräften. In den Lehrerzimmern des Landes klaffen Löcher: In Summe 300 Lehrkräfte fehlten zu Ferienbeginn für das kommende Schuljahr. Vor allem in Fächern wie Mathematik, in Bundesländern wie Vorarlberg und in Schultypen wie der Volksschule ist der Lehrermangel besonders spürbar.

Die Gründe dafür sind schnell gefunden: Pensionierungswelle, hohe Drop-out-Quote während des Studiums und Berufsausstiege. Uni-Professorin Spiel sieht aber noch weitere Faktoren: Zunehmend werde in der gesamten Gesellschaft mehr auf eine Work-Life-Balance Wert gelegt. Das heißt: Nicht jeder will 40 Stunden arbeiten. "Für die gleiche Leistung braucht man dadurch einfach auch mehr Personen", sagt Spiel.

Genau diese Balance hat Lisa eigentlich gesucht, als sie Deutsch und ein künstlerisches Fach inskribiert hat. Ihre Erwartungen an ihren zukünftigen Job als Lehrerin: "Ich wollte mit Menschen arbeiten. Aber auch einen Beruf, bei dem Familienplanung einfach ist, man im Sommer verschnaufen kann und nicht 60 Stunden die Woche arbeiten muss." Schnell wurde sie von der Realität eingeholt.

So fand sie sich in einem System wieder, in dem sich Junglehrende mit zu vielen Aufgaben konfrontiert sehen; in dem sie schnell nach ihrem Berufseinstieg mit zu viel Verantwortung überhäuft werden – ohne die passende Unterstützung zu bekommen – und frühzeitig den Hut nehmen oder ausbrennen. Ist der Lehrermangel also hausgemacht? Vergrault Österreich gar seine Lehrkräfte?

Gerade junge Lehrende fühlen sich durch Zusatzaufgaben überlastet. Die vergangenen Corona-Jahre haben die Situation zusätzlich verschärft. "Ich habe dieses Jahr über mehrere Monate ein Viertel über der Normalarbeitszeit unterrichtet", sagt Lisa. Das wurde notwendig, weil es an ihrer Schule mehrmonatige oder ganzjährige Krankenstände gegeben hat. Die Folge: Man verdiene zwar besser, es belaste aber mit der Zeit. "An Freitagen hatte ich in sechs Stunden sechs verschiedene Klassen. Wer spricht an einem Freitagvormittag innerhalb von sechs Stunden mit 120 Personen?" Lisa jedenfalls nicht mehr. Nach vier Jahren im Job hat sie gekündigt.

Chance und Belastung

Herbert Weiß, Gewerkschaftsvertreter der AHS, bestätigt im STANDARD-Gespräch diese Entwicklung. Während Corona für Lehrkräfte, die sich dem Ende der Berufslaufbahn näherten, in den letzten Jahren eine Chance war "rauszukommen", wurde der Druck für die Jungen größer, "gleichzeitig fehlte es ihnen an Erfolgserlebnissen". Immer mehr Lehrkräfte seien "weit über die Grenze ihrer Belastbarkeit" gekommen und hätten deswegen die Schule verlassen. "Das beginnt bei den ganz Jungen bis hin zu den Älteren und wird durch den Lehrermangel insgesamt noch einmal enorm verschärft", erzählt auch Paul Kimberger, Gewerkschaftsvorsitzender der Pflichtschullehrkräfte.

Gespräche mit Lehrkräften, die Informationen über den Berufsausstieg wollen, seien in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. "Vor Corona gab es das vereinzelt. Mittlerweile spielen sich derartige Anrufe wöchentlich im zweistelligen Bereich ab", sagt Kimberger. Außerdem würden nun auch junge Menschen den Kontakt suchen, die noch in der Ausbildung sind oder die überlegen, eine Ausbildung überhaupt zu beginnen.

Längere Studienzeit

Einen wesentlichen Grund für die aktuelle Situation sehen die beiden Gewerkschafter in der Reform der Pädagoginnenausbildung der Jahre 2012 und 2013: Damals wurde die Ausbildung für alle Lehrenden akademisiert. Seither dauert die Studienzeit aber auch länger. Bildungsforscherin Spiel, die selbst stellvertretende Vorsitzende des Qualitätssicherungsrats für die Pädagoginnenbildung Neu ist, kann diese Kritik nicht nachvollziehen: "Natürlich führt die längere Studiendauer dazu, dass wir aktuell weniger Lehrende im System haben. Wenn die Ausbildung in der Primarstufe früher auf drei und jetzt auf fünf Jahre angesetzt ist, ist aktuell die Zeitspanne länger, bis neue Lehrkräfte nachkommen", bestätigt sie. Aber: "Jetzt wird man nicht mehr für einen bestimmten Schultyp, sondern für eine Altersgruppe ausgebildet. Das ist eine positive Entwicklung für eine qualitätsvolle Bildung." Und Spiel zieht den Vergleich mit der Medizin: "Bei einem Ärztemangel würde man auch nicht wollen, dass die Ausbildung verkürzt wird."

Neben der längeren Ausbildung zeige sich aber auch, dass Junglehrer mit einer vollen Lehrverpflichtung im neuen AHS-Dienstrecht laut Weiß "fast nicht zurande kommen". Lisa ist noch im alten Dienstrecht eingestiegen und hat in ihrem ersten Jahr an einer BHS ein Unterrichtspraktikum absolviert. Im alten System durfte man mithilfe von Betreuungslehrenden pro studiertes Fach eine Klasse unterrichten – im Normalfall waren das zwei. Im neuen Dienstrecht können Lehrkräfte im ersten Unterrichtsjahr mit einer vollen Lehrverpflichtung – also in bis zu fünf Klassen – eingesetzt werden. Auch Lisa kritisiert diesen Zugang: "Die Lehrkräfte im neuen Dienstrecht müssen viel mehr unterrichten. Das halte ich für Wahnsinn", sagt Lisa. Feedback bekommen die neuen Lehrenden von Mentorinnen.

Den Lehrermangel bekämpft man seit langem mit Zwischenlösungen. Doch der Umgang mit jenen, die die Löcher stopfen, ist oft schwierig. Das zeigt der Fall von David. Mit 30 Jahren kam er nach seinem Studium über die Initiative Teach for Austria an eine Mittelschule. Zwar hatte er niemals Lehramt studiert, doch weil Mathematik schon damals stark gefragt war, stellte ihn die Schule mit einem Sondervertrag im alten Lehrerdienstrecht ein. "Ich wollte unbedingt mit Kindern arbeiten", sagt der 36-Jährige, der die schlechten Konditionen für seine Berufung in Kauf nahm.

Gerade junge Lehrende fühlen sich durch Zusatzaufgaben überlastet. Die vergangenen Corona-Jahre haben die Situation zusätzlich verschärft.

Ein zweijähriger Lehrgang hätte Verbesserungen für ihn bringen sollen: Für Quereinsteiger wie David war ein solcher an einer Hochschule vorgesehen, um das pädagogische Handwerk zu erlernen. "Damals hieß es, dass wir nach dem Abschluss aus dem Sondervertrag rauskommen." Voraussetzung war, dass die Quereinsteiger zwei Jahre Schulerfahrung und eine fixe Stelle vorweisen konnten.

All das konnte David. Jetzt, drei Jahre später, arbeitet er trotz abgeschlossenen Lehrgangs aber immer noch mit Sondervertrag; zu einem Übertritt in einen normalen Vertrag kam es – trotz mündlicher Zusicherung des Ministeriums im Vorfeld – nie. "Da fühlt man sich schon verarscht", sagt David, der nach sechs Jahren 1900 Euro netto verdient.

Zwischenlösung Quereinstieg

Geschichten wie jene von David sollen nun der Vergangenheit angehören. Bildungsminister Martin Polaschek will mit der aktuellen Dienstrechtsnovelle den Quereinstieg attraktivieren: Im Juli kündigte er das Ende befristeter Verträge und Gehaltseinbußen an. In "Assessments" sollen künftige Quereinsteigerinnen ausgewählt und dann an die Schulen entsandt werden. Auch die jetzigen Quereinsteigerinnen sollen davon profitieren, allerdings nur jene im neuen Dienstrecht. Für David ändert sich also nichts.

Vermehrt auf Quereinsteiger zu setzen ist für Spiel jedenfalls nur eine Zwischenlösung. "Die Schule sollte sich insgesamt mehr öffnen und für unterschiedliche Themen auch Expertinnen und Experten dazuholen. Wenn es um Gesundheitsverhalten geht, könnten das Ärzte sein", sagt sie. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Quereinsteigenden und ausgebildeten Pädagoginnen sei daher wichtig. Denn "das Lehramtsstudium gibt künftigen Lehrenden ein wissenschaftlich fundiertes Handwerkszeug für die Ausübung dieses Berufes mit."

Neben der kurzfristigen Aufstockung brauche es aber mehr. Etwa die Entlastung der Lehrkräfte durch Unterstützungspersonal: "In den letzten Jahren hat die Heterogenität in der Klasse massiv zugenommen. Damit haben sich auch die Herausforderungen verstärkt, entsprechende Unterstützungsmaßnahmen aber nicht im gleichen Ausmaß", sagt Spiel. Für soziale Probleme, die sich dadurch ergeben können, gibt es nicht ausreichend Schulsozialarbeiterinnen oder Schulpsychologen. Die bräuchte es aber.

Darauf pocht auch Hermine. Die ehemalige Lehrerin an einer sogenannten Brennpunktschule fände den Einsatz von zusätzlichen Schulsozialarbeitenden notwendig. Sie findet, dass soziales Lernen wichtiger sei als "unendlich viele Standardisierte Prüfungen, die darauf abzielen, dass man herausfindet, wie die Schule abschneidet". Was sich Lisa wünschen würde, um wieder in den Schulbetrieb einzusteigen? Mehr Fokus auf den eigentlichen Unterricht und mehr Frei- und Projektarbeit. Gewerkschafter Kimberger pocht auf mehr Praxis während eines kurzen Studiums: "Junge Menschen, die sich für den Lehrberuf entscheiden, müssen ab dem ersten Tag Erfahrungen in den Klassen machen, um nicht irgendwann zu sagen: Das habe ich mir ganz anders vorgestellt." (Anna Wiesinger, Elisa Tomaselli, Oona Kroisleitner, 4.9.2022)