"Jetzt ist es wieder ruhiger", sagt Borja Bermúdez. Der 35-Jährige mit gelber Weste ist einer der 851 Kundenberater, die die spanische Bahn Renfe zusätzlich eingestellt hat, nachdem die Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez bekanntgab, dass es vom 1. September bis zum 31. Dezember ein Null-Euro-Ticket geben wird. Seit dem 24. August kann es gelöst werden: online, am Automaten und am Schalter. "In den ersten Tagen war hier die Hölle los", sagt Bermúdez, der in der Schalterhalle im Madrider Nahverkehrsbahnhof Atocha eingesetzt ist.

Kostenloser Fahrschein kommt an

91.000 Kunden lösten bereits in den ersten 24 Stunden spanienweit ihr Ticket für den Nahverkehr sowie für mittleren Strecken, jeder dritte direkt am Bahnhof, der Rest im Netz. Mittlerweile haben – so die Bahnverwaltung – mehr als 300.000 einen kostenlosen Fahrschein erstanden. Es handelt sich dabei um Pendlertickets. Begünstigt werden Monatsabos sowie Mehrfachfahrscheine für die immer gleiche Strecke in herkömmlichen Zügen. Auf einigen Hochgeschwindigkeitsstrecken gibt es zudem Preisnachlässe von 50 Prozent. Das Ticket muss in den vier Monaten der Gültigkeit mindestens 16-mal genutzt werden, dann gibt es auch die zehn bzw. 20 Euro Bearbeitungsgebühren zurück. Zwischen 30 und knapp 90 Euro kostet eine Monatskarte je nach Strecke normalerweise.

Die meisten Menschen sind gut informiert.
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"Im Großen und Ganzen kommen die Kunden gut informiert hier her", sagt Bermúdez, der den Fahrgästen am Automaten zur Seite steht. Für den kommenden Montag, wenn die Urlaubszeit und die Sommerferien an Schulen und Unis zu Ende gehen, befürchten er und seine Kollegen dennoch einen Ansturm. Denn egal, worum es geht: In Spanien warten viele immer bis zum letzten Augenblick. Renfe geht davon aus, dass es letztendlich über eine halbe Million Fahrscheine sein werden und dass bis zum Jahresende mindestens 75 Millionen Gratisfahrten unternommen werden.

Energieverbrauch senken

"Mit kostenlosen Abonnements und Preisnachlässen helfen wir vor allem Arbeitnehmern, Studenten und Familien. Und wir fördern den öffentlichen Verkehr und senken den Energieverbrauch", wirbt Ministerpräsident Sánchez für seine Startmaßnahme im Energiesparpaket. Er kündigte das Null-Euro-Ticket Mitte Juli zeitgleich mit der Einführung eine Übergewinnsteuer für Energieversorger und Banken an. Diese Steuer wird 3,5 Milliarden Euro jährlich in die Staatskassen schwemmen. Neben dem Null-Euro-Ticket finanziert Sánchez damit auch zusätzliche Stipendien für Oberstufenschüler und Universitätsstudenten.

Jede Fahrt mit den Öffis spart Energie: ein Argument, das nicht nur in Spanien zu hören ist.
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Umweltschutzorganisationen, die den seit Mai gültigen Rabatt von 20 Cent pro Liter Diesel und Benzin für eine falsche Entscheidung halten, zeigen sich zufrieden mit dem Gratisticket. "Jede Fahrt im öffentlichen Verkehrsmittel spart zwischen 73 und 80 Prozent des CO2-Ausstoßes im Vergleich zum Pkw ein", erklärt Greenpeace-Sprecher Adrían Fernández.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Vor allem die Betreiber der Busse des seit Jahrzehnten privatisierten regionalen Linienverkehrs fürchten, sie könnten Kunden verlieren, die auf die kostenlose Bahn umsteigen. Und Verbraucherverbände mahnen an, dass die Frequenz der Züge erhöht werden muss, damit die sowieso schon überfüllte Linien nicht völlig kollabieren.

Ansturm am Montag

Zumindest bei der Kundenberatung versucht die Bahngesellschaft Renfe alles, damit das Null-Euro-Ticket ein Erfolg wird. Bermúdez wartet auf den großen Ansturm am Montag. "Mein Vertrag läuft zum Jahresende aus", sagt der junge Mann, der im Frühsommer die erste Aufnahmeprüfung für den Dienst bei der Bahn hinter sich gebracht hat.

Im kommenden Jahr will er sich der zweiten Runde der Aufnahmeprüfung stellen, um so eine Festeinstellung zu bekommen. "Es ist nicht mein Traumjob, am Bahnhof zu arbeiten. Aber in diesen Zeiten ist es ein sicherer Job, und das zählt", sagt der studierte Politikwissenschafter, bevor er wieder hinüber zu den Fahrkartenautomaten geht. (Reiner Wandler aus Madrid, 4.9.2022)