Das rote Gipfeltreffen vor der Kremser Badearena findet erstaunlich inkognito statt. Fans sind nicht bestellt, kein großer Auftritt ist geplant. Es dient mehr der Selbstvergewisserung. Bürgermeister Reinhard Resch trägt sommerlichen Strohhut, Niederösterreichs SPÖ-Chef Franz Schnabl kommt mit roter Partysonnenbrille: Der eine ist mitten im Wahlkampf, der andere auf Sommertour, der eine pflegt einen zurückhaltenden, fast schüchternen Stil, der andere lässt doch gerne einmal den roten Frechdachs heraushängen. Zwei unterschiedliche Charaktere, die doch ein gemeinsames Ziel haben: dass die SPÖ in der Stadt erneut Erste wird.

Krems gilt als niederösterreichische Kulturhauptstadt, das schwarz regierte Land hat viel investiert. Seit 2012 wird die Gemeinde aber von der SPÖ regiert.
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Krems, das zwischen 1955 und 2012 von fünf ÖVP-Bürgermeistern und einer ÖVP-Bürgermeisterin regiert wurde, ist mittlerweile im schwarzen Kernland Niederösterreich eine rote Bastion oder "ein Alien", wie Resch sagt. Der frühere Primar am städtischen Krankenhaus hat es bei der Gemeinderatswahl 2012 geschafft, eine hauchdünne Mehrheit zu erringen und die ÖVP auf Platz zwei zu verdrängen. Ein Trauma für die Schwarzen.

Grund dafür waren nicht nur Reschs gute Vertrauenswerte, sondern interne Konflikte in der ÖVP und die Unzufriedenheit mit neuen Parkzonen, die die damalige Bürgermeisterin Inge Rinke eingeführt hatte. Fünf Jahre später baute Resch als amtierender Bürgermeister seinen Vorsprung aus: Bei der Gemeinderatswahl 2017 erreichte er 19 von 40 Sitzen im Stadtparlament.

Bürgermeister Resch kämpft um seine Wiederwahl.
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Das Gespenst einer Abwahl

Resch rechnet mit einem "leichten Plus", wie er sagt. Kein Zweifel besteht aber auch bei ihm, dass, wenn sich eine Mandatsmehrheit aus ÖVP, FPÖ und Neos ausginge, er von dem Trio abgewählt würde. "Aus Prinzip", meint er, nicht, weil er irgendetwas falsch gemacht hätte. Tatsächlich findet die Opposition auch kaum einen Kritikpunkt. Resch ließ die Ringstraße mit ihrer über 100 Jahre alten Kanalisation sanieren, was von Vorgängern viel zu lange aufgeschoben worden sei. Im weniger betuchten städtischen Randgebiet Mitterau entstand ein Jugendzentrum mit Sport- und Kultureinrichtungen, Schulen (Krems hat aktuell 37 davon) und Kindergärten wurden gebaut und saniert, in der Pandemie unterstützte man die Kremser Wirtschaft nach Kräften.

Dennoch: Ob Resch dieses Jahr sein Amt verteidigen kann, ist offen. Die Konkurrenz ist gewachsen. Neben ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen und der Linken Stadtbewegung (KLS) treten dieses Jahr zum ersten Mal auch die Neos in Krems (NiK) an, auf deren Liste sich mit einigen der reichsten Kremser Unternehmer viel finanzielle Wahlkampfpower versammelt hat. Zur Wahl stellt sich zudem die neue, impfkritische MFG. Eine Abspaltung der Grünen tritt mit einer eigenen Liste an.

Susanne Rosenkranz führt in Krems Wahlkampf, ihr Mann kandidiert indes für das höchste Amt im Staat.
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Die ÖVP hat sich mit Florian Kamleitner erst sehr spät auf einen Spitzenkandidaten einigen können – daraus resultiert eine viel zu geringe Bekanntheit, wie selbst schwarze Insider zerknirscht zugeben. Über Bekanntheitsgrade brauchen sich zumindest die Freiheitlichen keine Sorgen machen: Kandidatin Susanne Rosenkranz wird zusätzlich auf die Präsenz ihres Ehemanns Walter Rosenkranz bauen können, der gerade für das höchste Amt im Staat kandidiert.

Den Wahlausgang abzuschätzen, erschweren neben der Vielzahl an Listen auch zusätzliche Faktoren: Welche Auswirkungen hat die Inflationskrise? Und vor allem: Wie wird sich das Ende des Wahlrechts für Zweitwohnsitzer auf das Wahlergebnis auswirken?

Mehr Listen, weniger Wählende

Wahlberechtigt sind am Sonntag 19.904 Kremserinnen und Kremser – um knapp 4000 weniger als 2017. Grund ist die Wahlrechtsreform in Niederösterreich: Seit 1. Juni dürfen nur noch Menschen mit Hauptwohnsitz wählen – eine langjährige Forderung der SPÖ, die sich daran stieß, dass in NÖ vor Wahlen oft zusätzliche Zweitwohnsitzer angemeldet wurden, die mitunter nur wenig Bezug zu den Orten hatten. Wem hilft also das neue Wahlrecht? "Daten dazu gibt es für Krems nicht", sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier, der seit 2005 an der Donau-Universität Krems lehrt. "Es gibt aber eine These." In der Vergangenheit dürften vor allem ÖVP, Neos und Grüne vom Wahlsystem profitiert haben. Der Grund: Die Wählerschaft der Parteien hat im Schnitt ein höheres Einkommen und damit eher Häuser auf dem Land. Ein Wegfall dieser Wählerinnen und Wähler könnte, so die Vermutung, also der SPÖ zugutekommen. "Die Schlüsselfrage ist aber die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe", erklärt Filzmaier im Gespräch mit dem STANDARD. "Die Daten dazu werden vom Innenministerium nicht veröffentlicht."

Die Grünen setzen auf Veltliner.
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Krems ist mit knapp 25.000 Einwohnerinnen und Einwohnern die fünftgrößte Stadt Niederösterreichs. Ist die Wahl also auch ein Gradmesser für die Landes- und Bundesebene? Filzmaier sieht das kritisch, als Stimmungsbarometer sei Krems nur "sehr bedingt tauglich". Die Landtagswahl findet erst 2023 statt, bis dahin können sich die Rahmenbedingungen ändern. Ob sich die aktuelle Causa rund um die Wien Energie negativ für Amtsinhaber Resch auswirke, sei schwer zu sagen, weil es meist mehrere Tage brauche, bis Menschen ihr Wahlverhalten ändern. "Freuen wird sich Bürgermeister Resch aber nicht darüber", sagt Filzmaier.

Das gilt an diesem Sommernachmittag in der Badearena auch für Franz Schnabl. Für die Krems-Wahl, schätzt man, sei die Causa aber noch unerheblich. Viel wichtiger sei ein anderes Thema, das auch der Grund für das Treffen ist: Resch zeigt Schnabl erstmals die Pläne für einen Neubau der in die Jahre gekommenen Badearena. Es gibt einen Gemeinderatsbeschluss dafür, 2025 will man fertig sein. Ziel ist es, die Anlage klimaneutral zu machen, der aktuelle Energieverbrauch sei mit 400.000 Euro im Jahr nicht mehr effizient, erklärt Resch. Bei den Kosten, die wegen der Teuerung von ursprünglichen 24 Millionen Euro auf 29 Millionen steigen dürften, fand die Opposition im Wahlkampf doch noch einen wunden Punkt. Von einem "Luxusbad" sprachen manche. Resch sieht das gelassen: Einer Stadt mit so vielen Schulen und einer laut Studien (er zitiert die Pöchhacker-Studie) "enorm lebenswerten Entwicklung" solle wirklich Schlimmeres passieren als ein Luxusbad. "Dazu stehe ich."

Strukturell konservative Stadt

Ebenfalls im Bad zugegen ist die mit 19 Jahren jüngste SPÖ-Kandidatin und SJ-Landeschefin Amelie Muthsam. Sie will in den kommenden Tagen noch viel Wahlwerbung machen, für Resch "rennen", wie das im Politsprech heißt. Resch kann die junge Wahlkampfhilfe gut gebrauchen, denn obwohl er sich mit 67 "pumperlg’sund" fühlt und auch nicht ausschließen will, dass er nach dieser Wahl noch einmal kandidieren würde, bescheinigen ihm kritische Beobachter eine gewisse Ermüdung im Amt. Als "entscheidungsschwach" wird er zudem charakterisiert – was Resch ärgert: Er baue eben auf breiten Konsens und spreche mit allen Parteien.

Für die ÖVP soll ein neuer Kandidat Schwung bringen.
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Ein SP-Insider erinnert im Gespräch mit dem STANDARD bei aller Siegesgewissheit aber noch an eines: Es sei eine Persönlichkeitswahl, Krems immer noch eine "strukturell konservative" Stadt, die bei Landtags- und Bundeswahlen oft ganz anders wähle. Resch sei eben mit seiner vertrauenswürdigen Art ideologieübergreifend beliebt, da spiele seine Medizinervergangenheit eine gewichtige Rolle. "Man muss die Leute gern haben", sagt Resch selbst über die Parallelen zwischen dem Arztberuf und dem Bürgermeisteramt.

Wie sehr Resch das Amt über die Partei stellt, zeigt sich an diesem Nachmittag im Bad darin, dass Schnabl eigentlich gerne Eis und Wasserbälle verteilt hätte. Resch aber bleibt dabei, was er mit den anderen Parteien ausgemacht habe: Keine Wahlwerbung im Bad!

Eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden kommt im Gespräch mit dem STANDARD dann doch noch auf. Beide besuchten eine Klosterschule. "A guada Sozialdemokrat woa in ana Klosterschui", sagt Schnabl und lacht. Resch ergänzt, dass die Bergpredigt eigentlich der Wahlinhalt der Sozialdemokratie sei. Wie heißt es da nochmal? "Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich."

Oder zumindest die neue Badearena. (Stefan Weiss und Jakob Pflügl aus Krems, 4.9.2022)