Konzerne wie Amazon wollen mehr über ihre potenzielle Kundschaft wissen, etwa ob sich kleine Kinder oder Haustiere im Haushalt befinden. Ein Saugroboter findet es heraus.

Foto: AP/Eugene Hoshiko

Vor kurzem wurde bekannt, dass der Onlinehändler Amazon für 1,7 Milliarden Dollar das US-Robotikunternehmen iRobot kauft. Die Firma ist bekannt für ihren Staubsaugroboter Roomba, der bereits mit der Sprachsteuerung Alexa kompatibel ist und über Amazons Cloud-Dienst AWS läuft. Ursprünglich für das US-Militär entwickelt, ist Roomba inzwischen ein beliebter Haushaltsroboter. Mehr als 30 Millionen Sauger wurden schon verkauft.

Der Grund, weshalb Amazon den Robotikhersteller übernimmt, liegt nicht nur in der Reinigungsfähigkeit, sondern vor allem auch an den Daten, die das Gerät sammelt: Der Saugroboter vermisst mithilfe von Sensoren und einer optischen Kamera Innenräume und erstellt während des Reinigungsvorgangs detaillierte Raumpläne. Ist die Küche rechts neben dem Wohnzimmer, wird dies ebenso vermerkt wie Treppenstufen oder Türschwellen. Mithilfe von künstlicher Intelligenz lernt das smarte Gerät sogar, Hindernisse wie Hundekot oder Ladekabel zu erkennen und zu umfahren.

Weiterer Vorstoß ins Private

Dieses "Home-Mapping", wie die Kartierung von Innenräumen genannt wird, gilt als die nächste Grenze, die Tech-Konzerne überschreiten wollen. Denn das, was der Mensch in seinen eigenen vier Wänden tut oder besitzt, sagt sehr viel über seine Persönlichkeit aus – auch weil man sich in privaten Räumen anders verhält als in einem von sozialen Konventionen überformten öffentlichen Raum. Mit seinem Netzwerklautsprecher Echo ist Amazon bereits weit in die Wohnstuben vorgedrungen. Die Vertragsarbeiter, die die privaten Gespräche transkribieren, hörten in der Vergangenheit auch schon Sex und Drogendeals mit. Mit Roomba dürfte dieses Bild des Zuhauses noch schärfer werden.

Amazon könnte mit seinem digitalen Staubsaugervertreter in den Wohnungen Marktstudien durchführen und die Raumdaten für personalisierte Werbung nutzen. Wenn das Gerät zum Beispiel Spielzeug auf dem Boden identifiziert, weiß Amazon, dass Kinder im Haus sind – und könnte entsprechende Produkte empfehlen.

Inneres von Wohnungen

Amazon interessiert sich schon länger dafür, was im Inneren von Wohnungen passiert. So hat der Konzern eine Technologie patentieren lassen, die mithilfe einer Kamera und chemischer Sensoren verdorbene Lebensmittel detektiert. Laut Medienberichten arbeitet Amazon an einem smarten Kühlschrank, der das Haltbarkeitsdatum von Lebensmitteln prüft und abhängig vom Konsumverhalten Rezepte vorschlägt. Das Gerät soll mit derselben Computer-Vision- und Kameratechnik ausgestattet sein wie Amazons kassenlose Supermarktkette Go. Wenn also der smarte Kühlschrank feststellt, dass der Käse abgelaufen ist oder die Milch zur Neige geht, könnte er automatisch im hauseigenen Supermarkt Waren nachbestellen.

Auch Banken und Versicherungen könnten sich dafür interessieren, ob Wohnungen vermüllt sind – ein Messi hat in der Regel eine schlechtere Bonität. Hinzu kommt: Aus der Wohnungsgröße lässt sich in der Regel auch auf das (Haushalts-)Einkommen schließen. Datenschützer sind alarmiert. Denn die Frage ist, was die Kameraaugen noch so alles sehen. Wenn der Staubsaugroboter eine Waffe auf dem Fußboden detektiert, würde dies der Polizei gemeldet? Was, wenn der Objekterkennungsalgorithmus irrt und einen Fehlalarm auslöst?

Videoaufzeichnungen geteilt

Amazon hat mit den Polizeibehörden mehrfach Videoaufzeichnungen seiner Überwachungskamera Ring geteilt – ohne Zustimmung des Nutzers. Geleakte Dokumente belegen zudem, dass der Online-Riese an einem Haushaltsroboter namens Astro tüftelt, der mithilfe einer Gesichtserkennung ein und aus gehende Personen in der Wohnung erkennt. Dass Roomba als verdeckter Ermittler seine Kreise durch Privatwohnungen zieht, ist vor diesem Hintergrund nicht auszuschließen.

Natürlich ist niemand gezwungen, sich einen Echo-Lautsprecher oder Roomba-Staubsauger in die Wohnung zu stellen. Doch Amazon hat in den vergangenen Jahren eine solche Marktmacht entwickelt, dass es schwer ist, dem Online-Riesen zu entgehen. Ohne die Cloudsparte AWS würden weite Teile des Internets nicht funktionieren, auch beispielsweise Netflix nicht.

Mehr Dienste auf Plattform

Durch den Zukauf von Firmen wie der Supermarktkette Whole Foods oder der Klinikgruppe One Medical hat der Online-Riese seine Produktpalette kontinuierlich erweitert. Ärzte, Apotheken, Streaming, Supermärkte – nach und nach hat Amazon immer mehr Dienste und Produkte auf seine Plattform geholt. Damit zapft der Online-Händler verschiedene Datenquellen an, die seine Algorithmen zu detaillierten Persönlichkeitsprofilen destillieren. Raumausstattung, TV-Gewohnheiten, Konsumverhalten, Krankheiten – Amazon kennt seine Kunden sehr genau. Zu genau, finden Datenschützer.

Evan Greer, Direktor der Bürgerrechtsorganisation Fight for the Future, sagte dem Tech-Magazin Wired, dass der Online-Riese im Grunde wie eine Überwachungsfirma funktioniere und darauf sein Monopol stütze: "Amazon will seine Hände überall haben. Die Übernahme einer Firma, die auf der Kartierung von Innenräumen basiert, scheint eine natürliche Erweiterung der Überwachungsreichweite zu sein, die Amazon bereits hat." (Adrian Lobe, 4.9.2022)