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Ein fehlgeschlagenes Attentat auf Vizepräsidentin Cristina Kirchner hat die Wogen in Argentinien hochgehen lassen. In der Nacht zum Freitag (Ortszeit) kehrte die wegen Korruption angeklagte Vizepräsidentin in ihr Haus in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires zurück und wurde dort von jubelnden Anhängern begrüßt. Beim Bad in der Menge zückte ein Mann plötzlich in unmittelbarer Nähe Kirchners eine Pistole, zielte auf deren Kopf und drückte ab, doch es löste sich kein Schuss; die Politikerin duckte sich weg und wurde sogleich von ihren Leibwächtern umringt.

Der Mann, der umgehend festgenommen wurde, ist der 35-jährige Sohn einer Argentinierin und eines Chilenen. Er hat Ermittlern zufolge Verbindungen zur rechtsextremen Szene und sei ein Anhänger satanischer Kulte. Medienberichten zufolge hatte er mehrere regierungskritische Videos in seinen Social-Media-Accounts gepostet, die inzwischen aus dem Netz genommen wurden.

Solidarität für Kirchner ...

Kirchner erhielt umgehend Solidaritätsbekundungen von ihr nahestehenden Regierungschefs in Lateinamerika. Präsident Alberto Fernández verurteilte ebenfalls das versuchte Attentat auf seine Vizepräsidentin und peronistische Parteikollegin. Er sprach von einem Klima der Hetze und des Hasses , das von Politikern, Justiz und Medien geschürt werde. Im TV erklärte er außerdem den Freitag zum Feiertag, um dem Volk die Chance zu geben, seine Unterstützung für Demokratie, Solidarität und Frieden zu bekunden. Das Parlament wollte zu einer Sondersitzung zusammenkommen.

Zwischen Fernández und Kirchner hatte es in der Vergangenheit vor allem aufgrund der Wirtschaftspolitik geknirscht. Kirchner hatte dem Präsidenten vorgeworfen, gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF), bei dem Argentinien in Milliardenhöhe verschuldet ist, in die Knie gegangen zu sein, und hinter den Kulissen den Rücktritt des Wirtschaftsministers erzwungen. Der Streit entzweite auch die peronistische Regierungspartei. Vonseiten des radikalen Pro-Cristina-Lagers kamen entsprechende Vorwürfe: "Wo war die Polizei? In welchem Land Leben wir eigentlich, und was müssen wir ertragen, Fernández?" twitterte die Ex-Botschafterin Alicia Castro. Es gab jedoch auch mahnende Stimmen, selbst aus dem Regierungslager. Sicherheitsminister Anibal Fernández bat um Geduld.

... aber auch Kritik

Die bürgerliche Opposition verurteilte die Gewalt ebenfalls. Der liberale Expräsident Mauricio Macri (2015–2019) fordert eine "sofortige und vollständige Aufklärung des Zwischenfalls". Einige meldeten jedoch auch Zweifel an der offiziellen Version an. Die ultrakonservative Abgeordnete Amalia Granata sprach von einer "Pantomime". "Nicht einmal Steven Spielberg hätte sich das getraut", twitterte sie. Granata zufolge inszeniere sich Kirchner damit als Märtyrerin und ebne den Weg für ihre Wiederwahl 2023.

Kirchner, die ihr Land bereits von 2007 bis 2015 regierte, repräsentiert einen linkspopulistischen Sozialismus. In Argentinien ist sie umstritten. Ein Teil der Bevölkerung verehrt sie, vor allem wegen der während ihrer Amtszeit eingeführten großzügigen Sozialprogramme. Für andere ist sie wegen ihrer autoritären, arroganten Art und ihrer populistischen Wirtschaftspolitik ein rotes Tuch.

Sie und ihr verstorbener Ehemann Néstor Kirchner (Präsident von 2003 bis 2007) waren immer wieder Mittelpunkt von Korruptionsskandalen. Doch weder die Luxusliegenschaften noch die rasante Reichtumsvermehrung der Familie oder die Festnahme von Mitarbeitern mit Unmengen von Bargeld konnten ihnen etwas anhaben. Erst jetzt erhob ein Staatsanwalt wegen Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Anklage gegen Cristina Kirchner und forderte zwölf Jahre Haft. Die nächste Anhörung ist am 5. September geplant. (Sandra Weiss, 2.9.2022)