Es gibt mehrere Dimensionen bei der Wien-Energie-Affäre: zunächst, ob die an sich zulässigen und auch notwendigen Termingeschäfte nicht zu risikoreich betrieben wurden. Dann geht es um die politische Verantwortung und Kontrolle der Eigentümer – vor dem Ausbruch der Krise und danach.

Auf einer anderen, "höheren" Ebene stellt sich die Frage, ob das so ablaufen muss, wenn die beiden immer noch größten, "staatstragenden" Parteien in einer gemeinsamen Notaktion ein potenzielles wirtschaftliches und politisches Desaster verhindern müssen. Die Kurzfassung: Sie haben das Notwendige getan, können es aber nicht lassen, einander dabei anzukeifen und zu versuchen, kurzsichtig parteipolitisch zu punkten.

Die Wien Energie ist in eine Liquiditätskrise geraten.
Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Die Wien Energie ist – laut ihrer Angabe völlig überraschend, vom Gesamtbild eher nicht so überraschend – in eine Liquiditätskrise geraten. Aus Mitteln des Eigentümers Stadt Wien, der schon vorher eingesprungen war, konnte man das nicht mehr bewältigen. Die Wien Energie wandte sich daher flehentlich-drohend an den Bund um eine Zwischenfinanzierung. Das machte der ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner am Sonntagabend im TV publik, indem er von einer "finanziellen Schieflage" der Wien Energie sprach. Das wiederum machte die SPÖ Wien rasend, denn man hätte alles gern unter der Tuchent behalten. In der Folge drehte dann die SPÖ den Spin, die tückischen Türkis-Schwarzen hätten dem verhassten roten Wien eins auswischen wollen.

Das ist schon richtig. Es wurde auch ein Brief der Wien Energie geleakt, wo sie darauf aufmerksam machte, dass beim Ausbleiben der Finanzspritze das ganze Handelsgeschäft der Wien Energie und damit die Versorgung der Wiener gefährdet wäre. Andererseits: Hat die (Wiener) SPÖ wirklich geglaubt, eine solche Mega-Affäre, wo es um Milliarden geht, ließe sich ohne Information der Öffentlichkeit abwickeln?

Notmaßnahmen

Die richtige Vorgangsweise wäre gewesen: Verantwortliche Vertreter des Bundes (der Finanzminister) und der Stadt Wien (der Bürgermeister und/oder der Finanzstadtrat) stellen sich gemeinsam hin, erklären die Situation, verkünden gemeinsam die eingeleiteten Notmaßnahmen und erzeugen damit Vertrauen.

Rettungs- oder Stützungsaktionen dieser Art durch den Staat sind Gott sei Dank inzwischen als letztes Mittel anerkannt. In den 30er-Jahren ließ man Banken einfach so zugrunde gehen, was eine Weltwirtschaftskrise auslöste und den Nazismus beförderte.

Diese gemeinsame Aktion kam nicht zustande, auch weil der Bürgermeister und der Finanzstadtrat nicht zu der entscheidenden Sitzung gingen. Und dann wundert man sich, wenn der Finanzminister allein mit der Nachricht hinausgeht?

ÖVP und SPÖ sind in einen wenig sinnvollen Streit um kurzfristige, bedeutungslose Minivorteile verwickelt. Wie schön, wenn man dem anderen mit einer boshaften Presseaussendung eins reinwürgen kann!

Das ist normale Politik, aber für nicht normale Zeiten nicht angemessen. Wir stehen vor einem harten Winter, das Vertrauen in die herkömmliche Politik ist längst unterminiert. Rechtsextreme, Obskuranten und ausgesprochene Demokratiefeinde, die schon in der Corona- und der Ukraine-Krise auftraten, warten auf ihre Chance zum Krawall. Doch, wenn es darum geht, in einer staatspolitischen Aktion eine reale Gefahr abzuwenden, keifen sich die Kanzlerpartei ÖVP und die Hauptstadtpartei SPÖ gegenseitig an. So machen sie keine Punkte, sondern sie machen sich gegenseitig hin. (Hans Rauscher,3.2.9.2022)