Zwei weiße, heterosexuelle Damen, denen es im Leben gut geht: Andrea Sawatzki und Maria Happel (re.) stammen aus der Zeit, in der Deutschland aufhörte, prüde zu sein.
Foto: Constantin Film

Den meisten Leuten sagt der Hausverstand, dass es sich umso leichter schwimmt, je weniger man anhat. Anderen Menschen sagt es der Bademeister: nicht mit Straßenkleidung ins Becken. Vor hundert Jahren galten allerdings noch ganz andere Übereinkünfte darüber, was als "wenig" oder was als Badezeug gelten mochte. Es ist eben alles relativ, und alles wird nur noch relativer, seit sich die Kulturen so stark zu vermischen begonnen haben, wie sie es im Übrigen immer schon getan haben.

Die deutsche Filmemacherin Doris Dörrie hat über solche Aspekte des Zusammenlebens jetzt eine Exempelerzählung gemacht: Freibad spielt in einem Freibad, das nur für Frauen zugänglich ist. Zwei Becken, eines zum Sportschwimmen, eines zum Planschen, eine reizvolle Liegewiese und vorne am Eingang Rocky, die Besitzerin, die vor allem an ihren Muskeln arbeitet. Die Aufsicht hat eine Frau namens Steffi: dunkelhäutig, mit Schweizer Akzent.

Diversität herrscht von Beginn an in viele Richtungen, verschärft sich aber dann durch unerwarteten Besuch. In schwarzen Vans fahren ein paar Frauen vor, die in schwarzen Burkas sonnenbaden wollen. Nur ihre schwer beringten Hände zeigen ein wenig Haut. Sie deklarieren sich als Asylwerberinnen: Sie sind auf der Flucht aus der Schweiz, wo strengere Be- bzw. Entkleidungsregeln im Badebetrieb herrschen.

KinoCheck

Liberale Insel

Deutschland ist also bei Doris Dörrie eine liberale Insel dadurch, dass es auch strengere Verhüllungsregimes toleriert. Das ließe sich nun ohne weiteres populistisch ausschlachten, aber von einer weltläufigen Filmemacherin, die es auch immer wieder ins Fernöstliche gezogen hat, darf man erwarten, dass sie nicht auf Pointen aus Ressentiment hinauswill. Im Gegenteil ist Freibad dezidiert eine gesellschaftliche Lockerungsübung.

Das beginnt bei den beiden Frauen, die zuerst einmal so etwas wie das Zentrum einnehmen: Eva (Andrea Sawatzki) und Gabi (Maria Happel), zwei weiße, heterosexuelle Damen, denen es im Leben gutgeht und die aus einer Zeit stammen, in der Deutschland aufhörte, prüde zu sein. Eva war sogar einmal die "Sängerin der Freiheit", und noch heute zeigt sie blanken Busen, wenn sie Geschlechtsgenossinnen in schwarzes, immerhin wenigstens wallendes Tuch gezwängt sieht. Eva wiederum trägt Kopftuch, nämlich von Hermès, auch das ein Statement.

Freibad für alle Frauen? Diversität herrscht von Beginn an in viele Richtungen, verschärft sich aber dann durch unerwarteten Besuch.
Foto: Constantin Film

Mann mit Nixenschwanz

Die Komik von Freibad lässt sich in etwa daran ermessen, dass die transweibliche Grillmeisterin aus marktwirtschaftlichen Gründen von Schweins- auf Lammbratwurst umstellt. Und als schließlich Steffi ihre Stelle wegen einiger brauner Trümmerln im Wasser verliert, taucht ein junger Mann auf, der gar nicht ins Freibad dürfte, der sich aber als "post gender" deklariert, und seine Identität durch einen Nixenschwanz bekräftigt.

Wer unter solchen Umständen weiterhin stur irgendetwas als das ausschließlich Eigene oder als das unbedingt Richtige behaupten möchte, wird zu einer Runde Pumpen mit Rocky verurteilt oder muss auf der Liegewiese künftig dort liegen, wo es zum widerrechtlichen Austreten nicht weit ist. (Bert Rebhandl, 4.9.2022)