Einen Tag nach dem Anschlagsversuch versammelten sich Mitglieder linker Parteien, Gewerkschaften und sozialer Bewegungen auf der Plaza de Mayo vor dem Regierungssitz.

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Kirchner wird von ihren Anhängern fast religiös verehrt, von ihren Gegnern aber leidenschaftlich gehasst.

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Buenos Aires – Einen Tag nach dem Anschlagsversuch auf die argentinische Vizepräsidentin Cristina Kirchner sind Tausende ihrer Anhänger aus Solidarität mit der früheren Staatschefin auf die Straße gegangen. Mitglieder linker Parteien, Gewerkschaften und sozialer Bewegungen kamen am Freitag (Ortszeit) zu der Kundgebung auf der Plaza de Mayo vor dem Regierungssitz in Buenos Aires zusammen. Zuvor hatte Präsident Alberto Fernández die Vizepräsidentin zu Hause besucht.

"Es ist weder ein einsamer Verrückter noch ein Einzelfall: Es sind drei Tonnen von Leitartikeln in Zeitungen, Fernsehen und Radio, die den gewalttätigen Reden den Weg bereiten", schrieb Innenminister Eduardo de Pedro am Freitag (Ortszeit) auf Twitter. "Sie haben ein Klima des Hasses und der Rache gesät und heute wurde uns das Ergebnis präsentiert – das versuchte Attentat auf Cristina Kirchner."

"Diskurs des Hasses"

Der gescheiterte Mordanschlag auf die genauso populäre wie umstrittene Politikerin rückt die tiefe Spaltung Argentiniens in den Fokus. Die sogenannte "grieta" (Riss) zwischen Rechts und Links zieht sich durch die ganze Gesellschaft. Als starke Frau des linken Lagers wird Kirchner von ihren Anhängern fast religiös verehrt, von ihren Gegnern hingegen leidenschaftlich gehasst.

"Angesichts des Mordversuchs gegen die wichtigste Politikerin des Landes, kann niemand, der die Republik verteidigt, schweigen oder seine ideologischen Differenzen über die einmütige Ablehnung stellen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung, die die Präsidentin des Schauspielerverbands, Alejandra Darín, bei einer Kundgebung auf der Plaza de Mayo vor dem Regierungssitz verlas. "Seit Jahren wiederholt ein kleiner Zirkel von Politikern und Medien einen Diskurs des Hasses, der Verleumdung, der Stigmatisierung und der Kriminalisierung jedes volksnahen Politikers oder Anhängers des Peronismus."

Täter niedergerungen und festgenommen

Am Vorabend war die ehemalige Staatschefin (2007-2015) nach Regierungsangaben nur knapp einem Attentat entgangen. Als die 69-Jährige vor ihrer Wohnung im eleganten Stadtteil Recoleta in Buenos Aires ihre Anhänger begrüßte, richtete ein Mann aus kürzester Entfernung eine Waffe auf sie. Zeugenaussagen zufolge drückte er mindestens einmal ab, löste aber keinen Schuss aus. Daraufhin wurde er von Kirchners Anhängern niedergerungen und von der Polizei festgenommen. Präsident Alberto Fernández sprach vom schwerwiegendsten politischen Vorfall seit dem Ende der Militärdiktatur (1976-1983) in Argentinien.

Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich Medienberichten zufolge um einen gebürtigen Brasilianer, der schon seit längerem in Argentinien lebte. Im März 2021 wurde bei ihm ein Messer sichergestellt. In den sozialen Netzwerken soll er rechtsextremen Gruppen gefolgt sein. Zuletzt wurde der 35-Jährige zweimal im Fernsehsender Crónica interviewt. Dabei sprach er sich gegen die Regierung und staatliche Sozialprogramme aus. Auf dem rechten Ellenbogen trägt er eine Tätowierung der schwarzen Sonne, die während der Nazi-Diktatur von der SS verwendet wurde und heute als Erkennungssymbol in der rechtsradikalen Szene gilt.

Keine Patrone im Lauf

"Er war ein Außenseiter und hatte nichts zu verlieren, besonders nach dem Tod seiner Mutter. Man konnte alles von ihm erwarten", sagte ein früherer Freund des mutmaßlichen Täters im Fernsehen. "Ich glaube, er wollte sie töten, aber leider hat er das nicht vorher geübt." Offenbar war das Magazin der Tatwaffe bei dem Angriff geladen, allerdings befand sich keine Patrone im Lauf. Das hat Kirchner offenbar das Leben gerettet.

Vizepräsidentin Kirchner gilt als eigentliche Strippenzieherin in der argentinischen Regierung. Zahlreiche Minister gehören zu ihrem Lager innerhalb der Koalition. In einem Korruptionsverfahren forderte die Staatsanwaltschaft zuletzt zwölf Jahre Haft für Kirchner. Daraufhin besetzten ihre Anhänger die Straße vor ihrer Wohnung und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. (APA, red, 3.9.2022)