Wien – Streaming ohne GIS-Programmentgelt für den ORF ist verfassungswidrig, entschied der Verfassungsgerichtshof Ende Juni. Wie soll der ORF künftig finanziert werden, fragt der STANDARD Medienwissenschafterinnen und Medienwissenschafter. Petra Herczeg, Vizestudienprogrammleiterin und Senior Lecturer am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, plädiert für eine Haushaltsabgabe mit sozialen Abfederungen.
STANDARD: Wie soll der ORF Ihrer Meinung nach künftig finanziert werden?
Herczeg: Bei allen möglichen Schwächen, die eine Haushaltsabgabe möglicherweise mit sich bringt, wäre sie dennoch vorzuziehen. Mit der Einschränkung, dass man hier auch versuchen muss, eine entsprechende soziale Abfederung zu erreichen, die vom Staat getragen wird und nicht zulasten des ORF gehen sollte. Ich finde eine Haushaltsabgabe auch fairer. Wenn wir uns ansehen, wie sich durch die Digitalisierung die Mediennutzung der Menschen verändert hat, so sehen wir sehr deutlich, dass auch Streaming sehr intensiv genutzt wird, dass es den Menschen vielleicht auch nicht immer bewusst ist, dass sie tatsächlich unterschiedliche ORF-Programme nutzen. Wenn man sich beispielsweise das ORF-Online-Angebot anschaut, orf.at. Dementsprechend bin ich für eine Haushaltsgabe, um den Öffentlich-Rechtlichen auch in Zukunft zu finanzieren.
STANDARD: Was wären die Schwächen einer Haushaltsabgabe?
Herczeg: Man muss sich das genau anschauen, wie hier auch die Zusammensetzung aussieht, wie viel hier verlangt wird und wie schwächere Gruppen nicht auf der Strecke bleiben, dass die auch das Programm des ORF nutzen können. Stichwort soziale Abfederung, dass darauf auch geachtet wird.
STANDARD: Was würden Sie sich von einem neuen ORF-Gesetz wünschen?
Herczeg: Ich glaube, es geht nicht darum, was man sich wünscht. Man muss hier immer aufpassen, welchen Diskurs es gibt. Erstens würde ich mir einen rationalen Diskurs wünschen, der davon geprägt ist, dass man davon ausgeht, dass man in einem demokratischen Staat lebt, in dem es auch im Interesse der politischen Akteure und Akteurinnen ist, dass es einen unabhängigen Rundfunk gibt. Ich finde Fragen nach "Was wünscht man sich" und "Wie soll was sein" in diesem Kontext nicht wirklich angebracht. Es geht um eine Finanzierung, die die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks garantiert. Alles andere sind klassische, typische politische Ränkespiele, die keine Relevanz haben sollten. Jetzt bietet sich die Möglichkeit, die ORF-Finanzierung zukunftsträchtig aufzustellen. Auf dieser Grundlage sollte auch die Diskussion stattfinden.
STANDARD: Also müsste man den politischen Einfluss aus dem ORF zurückdrängen?
Herczeg: Es müsste ein Verständnis dafür geben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk möglichst für alle da ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss unabhängig berichten können und fair finanziert werden. Wenn sich die Nutzung immer mehr ins Netz verlagert, so ist aus meiner Sicht die Haushaltsabgabe eine fairere Variante einer Rundfunkgebühr.
STANDARD: Nutzen Sie persönlich ORF-Programme? Im Stream oder auf einem TV-Gerät?
Herczeg: Ich bin da noch etwas old-fashioned, ich zahle natürlich die GIS-Gebühren, besitze ein Fernsehgerät und nutze dieses auch. Und wenn wir vom ORF-Programm sprechen, geht es auch um Teletext, um alle Radioprogramme, die angeboten werden von Ö1 bis hin zu Ö3, FM4, die Bundesländerangebote, Verkehrsdienst und so fort. Das heißt: Wir haben es mit einem breit gefächerten Angebot zu tun, und die Palette reicht von Nachrichtensendungen über Sportübertragungen, Verkehrsfunk auf Ö3, Teletext, TVthek bis orf.at. Das ist ein Bündel von Angeboten. (Astrid Wenz, 5.9.2022)