Auch das künstliche Licht von Smartphones und Co lässt Jung und Alt später zur Ruhe kommen und einschlummern.
Foto: Cavan Images / Imago

Acht Uhr morgens: Der Unterricht beginnt. So sieht es in vielen Schulen des Landes die Regel vor. In anderen ist man zu dieser Zeit bereits fleißig – oder tut zumindest so, weil das Gehirn noch nicht so recht auf Trab ist. Denn für viele junge Menschen ist das frühe Aufstehen eine Qual. Gerade im Teenageralter verlagern sich die Bettgehzeiten nach hinten, nur manche werden vor 23 Uhr müde genug, um einzuschlafen. Die Kollision mit den schulischen Pflichten am nächsten Morgen ist vorprogrammiert, wenn sich nicht mindestens acht Stunden Schlaf ausgehen.

Laut Studien sollen es für Kinder besser sein, wenn der Unterricht später beginnt. Was sagen Schüler:innen und Eltern dazu? Wir haben uns am ersten Schultag vor der Wiener Volksschule Stubenbastei umgehört
DER STANDARD

Grund genug für manche Länder, entsprechende Richtlinien einzuführen. In Großbritannien und Finnland ist es üblich, erst um neun Uhr mit dem Unterricht zu beginnen. Zuletzt zog der US-Bundesstaat Kalifornien nach, zumindest schrittweise: An öffentlichen Highschools sollen Schülerinnen und Schüler nicht mehr vor 8.30 Uhr gefordert sein. Altersmäßig trifft das zumeist Jugendliche ab 14 Jahren, etwa die Klassen fünf bis acht. Auch beim dortigen Pendant zu Unterstufe und Neuer Mittelschule, der Middleschool, ist ein Start um frühestens acht Uhr vorgesehen.

"Es hat einen Sinn, dass wir ein Drittel unseres Lebens quasi verschlafen." – Schlafforscherin Kerstin Hödlmoser

Warum aber verändern sich die Schlafenszeiten überhaupt? "Hormonelle Umstellungen während der Pubertät sorgen dafür, dass sich der Einschlafzeitpunkt von Jugendlichen nach hinten verschiebt", sagt Kerstin Hödlmoser von der Paris-Lodron-Universität Salzburg. "Bleibt es bei sehr frühen Aufstehzeiten, ist das nicht in Einklang zu bringen mit acht bis zehn Stunden Schlaf, die man in diesem Alter eigentlich braucht."

Ausgeschlafene Empathie

Besonders bedeutsam ist diese Ruhephase für das Gehirn: Gelerntes wird im Schlaf verarbeitet und gefestigt. Daneben geht es um die Regulierung der Emotionen – das werde bei unausgeschlafenen kleinen Kindern besonders deutlich, sagt die Schlafforscherin: "Sie fangen schneller an zu weinen und sind unausgeglichen." Wenn einem Schlaf fehlt, kann man sich nicht nur schlechter konzentrieren, sondern ist auch sensibler und schneller eingeschnappt. "In der Forschung ist dieses Thema brandaktuell – wir versuchen herauszufinden, was Schlafmangel insbesondere auch im sozialen Gefüge mit uns macht."

Eine aktuelle US-amerikanische Studie zeigt die gleichzeitig naheliegenden und weitreichenden Folgen von Schlafentzug. Schon nach kurzer Zeit werden Menschen weniger hilfsbereit. Es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen der Zeitumstellung im Frühjahr, die eine Stunde Schlaf stiehlt, und geringerer Spendenbereitschaft. Untersucht man in Hirnscans jene Regionen, die für Einfühlungsvermögen wichtig sind, zeigt sich: Sie sind weniger aktiv bei Personen, die nicht ausreichend geschlafen haben.

Verpassten Schlaf nachholen

"Es hat also einen Sinn, dass wir ein Drittel unseres Lebens quasi verschlafen", sagt Hödlmoser. Der gesamte Körper muss sich durch das Schlafen erholen, um nicht anfälliger für Krankheiten zu werden. "Gut dokumentiert sind die Zusammenhänge zwischen Schlafmangel bei Jugendlichen und der Entstehung von Diabetes Typ II und Adipositas", weiß ihr Kollege Gerhard Klösch von der Medizinischen Universität Wien.

Verpasster Schlaf lässt sich übrigens zumindest kurzfristig – innerhalb eines Tages – nachholen. Bei vielen Menschen baue sich aber im Laufe der Schul- und Arbeitswoche ein Schlafdefizit auf. "Es ist besser, man schläft zumindest an zwei Tagen pro Woche so lange, wie es einem guttut, als das nie zu tun", sagt Klösch. Gleichzeitig ist Regelmäßigkeit wichtig: "Für bestimmte vulnerable Gruppen – das sind in diesem Fall Kinder, Jugendliche, ältere Leute und Menschen mit Schlafstörungen – hat jede Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus Auswirkungen."

Fehlende Betreuung

Für den Schulbeginn bedeutet das alles: Ein Großteil der Teenager bleibt bei den aktuellen Uhrzeiten auf der Strecke. Eine Regelung wie in Kalifornien und anderen Ländern ergebe Sinn, sagt Klösch, der selbst eine Umfrage unter rund 300 Wiener Schülerinnen und Schülern – im Durchschnitt 14 Jahre alt – durchführte. Demnach gehen etwa zwei Drittel bevorzugt zwischen 23 Uhr und Mitternacht schlafen. Etwa der Hälfte würde ein Schulbeginn zwischen acht und neun Uhr entgegenkommen, die andere Hälfte hätte es am liebsten sogar noch später.

Jedoch setzen nur wenige Schulen einen Beginn ab neun Uhr an. Das hat auch mit einem anderen Problem zu tun: Etliche Eltern und Betreuungspersonen begleiten Kinder auf dem Weg zur Arbeit in die Schule, vor allem, wenn diese noch unter 14 sind. Je später die Schule beginnt, umso später kommt die erwachsene Begleitung in die Arbeit.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der im Einzelfall eine Rolle spielt. "Wenn ich als Jugendliche weiß, dass ich am nächsten Tag erst um neun Uhr in der Schule sein muss, gehe ich tendenziell noch später ins Bett", sagt Hödlmoser. Deswegen sollten Menschen früh lernen, auf ihre Schlafbedürfnisse zu achten, sind sich die beiden Fachleute einig: Wie viele Stunden Schlaf tun gut? Bin ich Abend- oder Morgenmensch, Eule oder Lerche? Welche Rituale lassen mich zur Ruhe kommen? In einem Pilotprojekt in der Steiermark versucht die Schlafforscherin Hödlmoser, Schulkinder für gesunden Schlaf zu sensibilisieren.

Blaues Leuchten, sozialer Ärger

Wie wichtig das ist, zeigt sich daran, dass manche Fachleute seit Jahren von einer "Epidemie des Schlafmangels" sprechen. "Wir sehen in nationalen und internationalen Umfragen, dass Jugendliche nicht auf die Anzahl an qualitativ hochwertigen Schlafstunden kommen, die sie eigentlich brauchen", sagt Hödlmoser.

Das chronische Schlafdefizit ergibt sich durch diverse Aufgaben, die noch nach Schul- oder Arbeitsschluss zu bewältigen sind, und durch die sozialen Kontakte, die nachgeholt werden. Das verstärkt den "sozialen Jetlag", der nicht zu den biologischen Bedürfnissen passt – womit auch viele Erwachsene kämpfen.

Einen Anteil daran haben moderne Medien, die uns durch bläulich leuchtende Bildschirme vermittelt werden. Dieses blaue Licht verhindert, dass das sogenannte Einschlafhormon Melatonin produziert und ausgeschüttet wird. Wer die Geräte nicht spätestens eine halbe Stunde vor dem Schlafen weglegt, vielleicht selbst im Bett chattet und weiterliest, neigt eher zu Schlafproblemen. Zudem müsse man die emotionale Komponente der sozialen Medien berücksichtigen, sagt Klösch: "Wir können nur schwer einschlafen, wenn wir uns ärgern." Allerdings leben die Netzwerke davon, aufwühlende Beiträge an ein großes Publikum zu bringen.

Wer vor dem Einschlafen nicht auf das Smartphone verzichten kann, sollte zumindest einen Blaufilter nutzen, wie Studien zeigen. Noch besser funktioniert das Einschlummern, wenn man ein Buch liest. Das Wichtigste sei aber, individuell einen möglichst ruhigen Ausklang zu finden, meint Hödlmoser: "Für die einen ist es Musikhören, andere nehmen ein Entspannungsbad." (Julia Sica, 5.9.2022)