Gemeinsame Geh- und Radwege sind nicht selten Schauplatz von Konflikten.

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Gemeinsame Wege für Fußgänger und Radfahrer bergen einiges an Konfliktpotenzial, wie eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) zeigt (OGH 27.6.2022, 2 Ob 64/22h). Eine Radlerin war auf dem Rheinauweg in Höchst (Vorarlberg) unterwegs gewesen, als plötzlich eine Fußgängerin die Straße querte und mit ihr zusammenstieß.

Am Unfall und den daraus resultierenden Verletzungen gaben die beiden Frauen jeweils der anderen die Schuld: Die Fahrradfahrerin verlangte Schadenersatz. Die Fußgängerin lehnte ab, denn Radfahrer seien auf gemeinsamen Wegen dazu verpflichtet, auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen. Aber wer hat auf Geh- und Radwegen, wie sie vielerorts üblich sind, eigentlich Vorrang?

Keine eindeutige Regelung

Im Fall von Straßen und reinen Radwegen ist die Rechtslage eindeutig: Wollen Fußgängerinnen oder Fußgänger die Fahrbahn queren, müssen sie warten und sich vergewissern, dass sie andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährden. Wer zu Fuß unterwegs ist, hat in diesen Fällen also grundsätzlich Nachrang – es sei denn, es gibt einen Zebrastreifen oder eine Ampel. Aber gilt dasselbe auch für Geh- und Radwege?

In seiner aktuellen Entscheidung kommt der OGH zu einem differenzierten Ergebnis: Tatsächlich sei es so, dass sich "Radfahrer auf Geh- und Radwegen so zu verhalten haben, dass Fußgänger nicht gefährdet werden". So steht es in der Straßenverkehrsordnung (StVO). Von Radlerinnen und Radlern wird auf gemeinsamen Wegen eine "erhöhte Sorgfaltspflicht gegenüber den Fußgängern gefordert".

Sind Fußgänger nicht in Längsrichtung unterwegs, sondern queren den Weg, ist das laut Höchstgericht jedoch anders. In solchen Situationen gelte die allgemeine Regel für Straßen – auch wenn das für Geh- und Radwege nicht explizit geregelt ist. Fußgänger dürfen, so der OGH, "erst dann zum Überqueren auf einen Geh- und Radweg treten, wenn sie sich vergewissert haben, dass sie hiebei andere Benützer des Wegs nicht gefährden". Im aktuellen Fall ist also die Fußgängerin am Unfall schuld. Sie muss der Radfahrerin 5.000 Euro Schadenersatz bezahlen. (japf, 5.9.2022)