Sandra Cervik (Stevie) und Joseph Lorenz (Martin) haben Probleme.

Rita Newman

Bei den Grays ist alles in Graustufen gehalten. Kein tristes Grau aber, sondern jenes von edlen Materialien und Texturen, das Grau der großen Modedesigner der 2000er-Jahre (Kostüm: Lydia Kirchleitner). Ihr Living Room, der all diese Schattierungen rahmt, ist ein spaciger mattweißer und – das wird später eine Rolle spielen – abwaschbarer Tubus. Martin Gray (Joseph Lorenz) ist schließlich Architekt, einer der ganz späten Moderne. Reduzierte Form ist alles. Vor allem aber ist alles smart. Seine Frau Stevie (Sandra Cervik) reguliert mal eben via Home-App die Lichtstimmungen mit der Apple Watch.

Obere urbane Mittelschicht also, Geld spielt eine untergeordnete Rolle. Man ist tolerant, aufgeklärt, linksliberal und ziemlich aufgeschlossen. Den schwulen Sohn Billy (Julian Valerio Rehrl) sekkiert der Vater nur sehr gelegentlich mit mildem Spott, was dem Heranwachsenden wie allen Kindern die Eltern schon zu gewöhnlichen Zeiten immer etwas peinlich erscheinen lässt.

Über alles reden

Aber man kann doch über alles reden. Kann man? Wenn Martin Gray nach Ziegenstall riecht, weil er von den Freuden der Sommerfrische eine eher seltsame Auffassung hat, wird es schwierig. Er gesteht frei heraus, dass er auf der Suche nach einem geeigneten Landsitz dem Anblick eines Tieres verfallen sei und nun mit einer Ziege verkehre, die er Sylvia nennt.

Er war auch schon in einer einschlägigen Selbsthilfegruppe. Da er keinen Leidensdruck empfindet, bleibt aber auch der verständnisvollste Therapieansatz machtlos. Die geplagte Ehefrau Stevie war darauf gefasst, eine stereotype Eifersuchtstirade abzufeuern. Seine Mitteilung aber entzieht ihr gänzlich den Boden. Es gibt Grundlagen, die bei aller Diversität so ziemlich alle Kulturen der Menschheit gemein haben: Inzestverbot und Gattungsgrenzen, dass man Menschen nicht isst und Tieren nicht beiwohnt.

Studie zu Übertretungen

Im Bild antiker Raserei haut Sandra Cervik die gesamte Bühneneinrichtung kurz und klein, beschmiert die Wände und das Antlitz des Gatten mit klebriger Masse. Im Regal sind auch ein paar exotisch anmutende Masken, der dezente Hinweis von Silvia Merlo und Ulf Stengl (Bühne), dass es Edward Albee (1928–2016) im Stück aus dem Jahr 2000 nicht um zoophilen Klamauk, sondern, so der Untertitel, die Bestimmung des Tragischen geht.

Wo in der vollends aufgeklärten Welt sind noch Übertretungen möglich, die sich nicht wegargumentieren oder wegtherapieren lassen? Handlungen, die alle Toleranz sprachlos werden lassen, weil sie ihre Wertgrundlagen negieren?

In posttragischen Zeiten kann das Tragische nur in einer aus den Fugen geratenen Konversationskomödie fortleben. Michael Dangl als lustvolle Karikatur eines schlamperten linken Journalisten und Billy als der Empfindsamkeit der Goethe-Zeit entsprungener Sohn geben hier treffliche Sidekicks.

Regisseur Elmar Goerden steigert Albees Wortwitz zum deftigen Komödienwerk. Er versucht, damit eine Künstlichkeit zu erzeugen, die den Wahnsinn erst darstellbar und verhandelbar macht.

Theaterblut muss fließen. Mit dem wirren Blick der Bacchantin zerrt Cervik ein lebensgroßes Kuscheltier an den Hörnern hinter sich her. Wenn die Götter das wüssten. (Uwe Mattheiß, 5.9.2022)