Die Welt ist eine triste Angelegenheit und sieht aus wie ein Gefangenenlager. Ein paar Metalltürme mit Lautsprechern und Scheinwerfern obendrauf und eine traurige Lichterkette bieten wenig Geborgenheit. Und als hätte es das gebraucht, müssen die jungen Leute auf der Bühne noch das katholische Glaubensbekenntnis aufsagen.
Nach gut zwei Stunden markiert das Ende des Abends ein gesungenes Wir kommen alle in den Himmel – an das keiner der Singenden echt glaubt. Denn dazu haben sich auf der düsteren, kalten und wenn doch mal, dann mit verzweifelter Überspanntheit bunt beleuchteten Bühne (Jan Versweyveld) zu viele Beweise der Schlechtigkeit des Menschen, genauer gesagt: Mannes, ereignet.
Ingolstadt hat es über den sommerlichen Umweg Salzburg nun ins Repertoire des Burgtheaters geschafft. Das mit den Festspielen koproduzierte Stückegespann aus Marieluise Fleißers Fegefeuer in Ingolstadt (1926) und Pioniere in Ingolstadt (1928) ist dort seit Sonntag zu sehen.
Wasserscheues Highlight
Die Kombination bietet sich an: Im einen Strang ist die Schülerin Olga (Marie-Luise Stockinger) ungewollt schwanger. "Ich kann dir das Kind nicht lassen", verständigt sich der Erzeuger (Tilman Tuppy), ehe er handgreiflich wird. Das Kind wird Olga aber ebenso wenig los wie den Verehrer Roelle (Jan Bülow), der nun seine Chance auf sie wittert. Im Singsang in Bülows Sätzen steckt schon das ganze Verhängnis seiner Zuneigung. Verletzlich, dämonisch ist der Engelgläubige ein Highlight.
Im zweiten Strang wollen zwei junge Frauen mit einem in die Stadt gekommenen Pionierbataillon ihr Glück machen, dem sie ihre Liebe anbieten. Alma (Dagna Litzenberger Vinet) für, Berta (Lilith Häßle) ohne Entgelt. Eine reizende Tändelei mit Korl (Maximilian Pulst) schlägt schnell um. Beide werden von den jungen Männern in den engen Hemden (Kostüme: An D’Huys) ausgenutzt. Mannsein garantiert aber auch nicht für Glück. Die Brückenbauer leiden, wenn sie nicht im Suff applaudieren, sobald Frauenkleider fallen, in jeder Stadt unter den gleich tyrannischen Feldwebeln.
Starke Bilder, kein Ausweg
Kirchen- und Soldatenlieder stecken abwechselnd den Raum des Möglichen ab. Generationen-, Klassen- und Geschlechterkonflikte überlagern sich. Wie die Textfassung von Koen Tachelet die beiden Stücke nicht bloß parallel laufen lässt, sondern ineinanderschiebt, geht gut auf. Beinah überfrachtet der Mix das angestrebte Ganze aber mit Schicksalen. Rettende Auswege finden Fleißers Frauen noch nicht. Aber sie spüren, dass das so nicht weitergehen kann. Regisseur Ivo van Hove inszeniert das mit starken Bildern. Dafür gibt es viel Applaus. (Michael Wurmitzer, 5.9.2022)