Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will zwei Atommeiler als Notreserve bereithalten.

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Berlin – "Atomkraft? Keinen Tag länger!" Mit Forderungen wie dieser empfingen Demonstrierende am Montagabend den deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck vor seiner Pressekonferenz. Doch ihre Wünsche erfüllten sich nicht.

Habeck hatte in den vergangenen Wochen die deutsche Stromversorgung einem Stresstest unterzogen und sich dann von den Übertragungsnetzbetreibern berichten lassen. Vor allem eine Frage schwebte über dem Verfahren: Soll Deutschland seine drei derzeit noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke doch weiterhin in Betrieb halten?

Gegen "stundenhafte Mangelsituationen"

Eigentlich sind Habeck und die Grünen dagegen. Doch am Montagabend sagte der Minister über die Atomkraftwerke: "Man kann in der Situation nicht ausschließen, dass sie in der angespannten Lage einen Beitrag leisten." Denn es drohten in Deutschland, wenn viele ungünstige Faktoren zusammenkämen, "stundenhafte Mangelsituationen".

Er erwähnte auch den Ausfall vieler Atomkraftwerke in Frankreich, das daher von Deutschland aus mit Strom beliefert werde. Die für ihn "richtige Konsequenz" bedeute daher, "dass wir uns diese Option erhalten" – und zwar bis April 2023.

Kein "Weiterbetrieb" – vermutlich

Das heißt: Am Jahresende geht nur, wie geplant, das niedersächsische Atomkraftwerk Lingen vom Netz. Die beiden Anlagen im Süddeutschland (Neckarwestheim/Baden-Württemberg und Isar 2 / Bayern) werden jedoch in Reserve und einsatzbereit gehalten – für den Fall, dass ihr Weiterbetrieb nötig ist. Dafür brauche man kein neues Brennmaterial, sagte Habeck. Die Belegschaft werde bleiben, um die beiden Atomkraftwerke zur Not wieder hochzufahren. "Sie werden einsatzbereit gehalten, aber sie produzieren keinen Strom mehr. Für den Fall, dass wir sie brauchen, fahren sie wieder an und produzieren wieder Strom", so Habeck.

Von einem tatsächlichen "Weiterbetrieb" könne aber keine Rede sein. Dafür müsste auch das Atomgesetz wieder geändert werden. Habeck verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass Atomkraft nach wie vor eine "Hochrisikotechnologie" sei. Die Entscheidung für eine bloße Reserve sei aber "vertretbar".

Kurz bevor sich Habeck äußerte, hatte der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Weiterbetrieb aller drei Kernkraftwerke gefordert – unabhängig vom Ausgang des Stresstests. Lindner: "In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, um den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren. Das ist aus meiner Sicht ein wirtschaftspolitischer Stresstest, der neben dem energiepolitischen Stresstest auch eine Rolle spielen muss." Auch die oppositionelle Union würde die Atomkraftwerke noch einige Jahre lang laufen lassen. (Birgit Baumann aus Berlin, 5.9.2022)