Michael Ludwigs (SPÖ) Agieren zeigt die Machtverteilung in der Koalition mit den Neos unter Christoph Wiederkehr.

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Bis in vollem Umfang klar ist, welche Konsequenzen die Causa Wien Energie hat, wird es noch lange dauern. Das liegt auch daran, dass dafür erforderliche Untersuchungen – etwa durch Rechnungshof oder U-Kommission – geraume Zeit in Anspruch nehmen werden. Dennoch ist schon jetzt klar: Die Angelegenheit hat so einiges in Bewegung gebracht. Ein Überblick über die wichtigsten Folgen.

Wiederkehr unter Zugzwang

Auch wenn Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) und sein pinker Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr gebetsmühlenartig Gegenteiliges behaupten: Das Verhältnis zwischen SPÖ und Neos hat einen Riss bekommen. Dieser dürfte zwar nicht so tief sein, dass die Koalition in Gefahr ist. Dass die Pinken sauer sind, ist aber augenscheinlich.

Kein Wunder: Immerhin stellt Ludwig mit seiner eigenmächtigen Freigabe von Krediten im Umfang von 1,4 Milliarden Euro an die Wien Energie seinen Partner bloß. Die Causa legt so deutlich wie noch nie das Machtungleichgewicht in der Koalition offen. Verschlimmert wird dies dadurch, dass die ganze Sache ein Kernanliegen der Neos betrifft: Transparenz.

Zu allem Überfluss fehlen den Pinken Momente der Durchsetzung, die dies aufwiegen könnten. Eine Strategie wie bei den Grünen im Bund, die in der Koalition mit der ÖVP mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind und dann auf ihre eigenen Erfolge verweisen, ist Wiederkehr kaum möglich. Um sich vor der Basis noch länger rechtfertigen zu können, wird er Ludwig mehr Zugeständnisse abringen müssen.

Neue Allianzen in der Opposition

Die Oppositionsparteien sind näher zusammengerückt. Kurz nach Bekanntwerden der Probleme der Wien Energie sah es zunächst danach aus, als würden allen voran Wiens Grüne und ÖVP gemeinsame Sache machen. Deren Chefs, Karl Mahrer und Peter Kraus, trugen emsig die Kritik ihrer Bundesparteien an der Stadtregierung weiter. Und sie gefielen sich infolge des Einspringens des Bundes sichtlich in der Rolle der Retter. Die Botschaft: Fürchtet euch nicht, Türkis-Grün hilft.

Der Energiekonzern wird von zwei Rechnungshöfen durchleuchtet.
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Naheliegend wäre gewesen, dieses Spiel in einer gemeinsamen U-Kommission zu verlängern. Die Grünen hätten das auch gern gewollt, Kraus kündigte Gespräche mit der ÖVP dazu an.

Geeinigt hat sich Letztere aber mit jemand anderem: mit der FPÖ unter Dominik Nepp. Die beiden Parteien werden gemeinsam eine U-Kommission beantragen. Die Grünen braucht es dazu formal nicht mehr. Sie unterstützen das Vorhaben aber – und trösten sich damit, so in ihren Fragestellungen freier zu sein.

Für Nepp ist die Zusammenarbeit eine Chance, die eher isolierte Position der FPÖ im Rathaus infolge von Ibiza und Corona loszuwerden. Und Mahrer, der erst vor einigen Monaten vom Nationalrat in die Landespolitik wechselte, kann sein Profil als Oppositionsführer schärfen.

Chance für mehr Kontrollrechte

Seit Jahren verlangt die Opposition, dass U-Kommissionen des Wiener Gemeinderats auch ausgelagerte Unternehmen der Stadt zum Gegenstand haben dürfen. Nun könnte sie tatsächlich Gehör finden. Angedacht war eine dahingehende Reform bereits im Vorjahr.

Der Unterschied zu damals: Die Neos sind, wie erläutert, stark unter Zugzwang. Das gilt bis zu einem gewissen Grad auch für die SPÖ – immerhin erklärte Ludwig, er habe in der Causa "nichts zu verbergen". Mehr Klarheit wird es am 22. September geben: Da findet die nächste Landtagssitzung statt, in der bereits neue Spielregeln beschlossen werden könnten.

Bewusstsein für Notkompetenz

Eine Notkompetenz für Bürgermeister und somit auch für den Wiener Stadtchef existiert zwar seit der Monarchie. Zu welch weitreichenden Beschlüssen sie eine einzige Person ermächtigt, das war im breiten Bewusstsein bisher aber nicht verankert. Wie unpräzise die Regelung formuliert ist und welche Interpretationsspielräume sie zulässt, ebenso wenig.

Die Causa Wien Energie könnte ein "window of opportunity" für eine Beschränkung geöffnet haben. Die Ideen reichen von finanziellen Obergrenzen bis zur Einrichtung eines kleinen Ausschusses, der einbezogen werden muss. Ludwig ließ jedoch bereits durchblicken, dass er davon nicht viel hält.

Wetteifern der Rechnungshöfe

Für den Bundesrechnungshof war exakt vor einer Woche bereits am Vormittag klar: Die Vorgänge um die Wien Energie sind so brisant, dass er von sich aus tätig und eine Untersuchung durchführen wird. Am Nachmittag kündigte Ludwig schließlich an, eine solche auch beim Wiener Stadtrechnungshof anzuregen. Sein Prüfersuchen ist mittlerweile dort eingelangt: Durchleuchtet sollen demnach die Gebarung der Jahre 2018 bis 2022 und die Geschäfte an den Energiebörsen werden.

Dass zwei Rechnungshöfe tätig werden, ist nicht alltäglich. Um Doppelgleisigkeiten zu vermeiden, sprechen sich diese Institutionen eigentlich ab. Der Bundesrechnungshof darf jedenfalls umfangreicher untersuchen: Er kann nicht nur Angelegenheiten der Stadt, sondern auch des Bundes prüfen – etwa die Vorgänge um den Vertrag zwischen Bundesfinanzierungsagentur und Wien. (Stefanie Rachbauer, 5.9.2022)