Im Gastblog interpretiert Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die dritte Folge der Prequel-Serie zu "Game of Thrones" mit einem Vergleich zu der ebenso aktuellen Serie "Die Ringe der Macht".

Der Titel der dritten Folge lautet "Second of His Name". Sie spielt drei Jahre nach der vorangegangenen, und mit dem Titel ist Bezug auf Aegon II. genommen, den nun zweijährigen Sohn von Viserys und Alicent – ein, Achtung, männlicher Nachkomme des Königs. Im Westeros-Kosmos ist Aegon I. der sogenannte Eroberer und Begründer der Herrschaft der Familie Targaryen über Westeros.

In der dritten Folge steht der Wein nicht nur häufig auf dem Tisch, sondern findet sich auch in den Gesprächen wieder.
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Wein spielt eine Rolle bei Viserys: Zu Ehren des zweiten Geburtstags seines Sohnes wird eine Jagd im Wald veranstaltet. Viserys ist nach Feiern, nicht nach Problemanalyse zumute, er weist Berichte über die fatalen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem von Daemon und Lord Corlys angeführten Heer und den Kämpfern des "Crab Feeder" barsch zurück. Und das ist ein Leitthema der Folge: Viserys' fehlende Potenz als Anführer.

Jagd als Machtfrage

Wein, Jagd und eine instabile Position als König? Das mag einigen bekannt vorkommen. Auch für Robert Baratheons Niedergang in der ersten Staffel von "Game of Thrones" hat dieses unheilige Zusammentreffen eine Rolle gespielt: Robert jagte ein Wildschwein, war aber so betrunken (unter der "Aufsicht" von Cersei), dass er dabei letztlich zu Tode kam und das Spiel um den Thron Fahrt aufnahm.

Auf eine Weise geht es Viserys ähnlich: Szene für Szene, Dialog für Dialog, weingetränkte Rede um weingetränkte Rede wird deutlicher, dass seine Position schwach ist. "Second of His Name" zeigt das in einem prägnanten Bild, vielleicht der zentralen Szene der Folge. Während der großen Jagd wird Viserys angekündigt, ein weißer Hirsch sei in der Nähe, was als Jagdtrophäe für ein gutes Omen gehalten wird. Letztlich begegnet die Jagdgruppe aber dann doch einem gewöhnlichen Hirsch. Viserys gelingt es nicht, ihn mit einem einzelnen gezielten Stoß zu töten, sondern das Tier erleidet Todesqualen. Zuvor gibt es eine Szene, in der Viserys einen Speer überreicht bekommt – es wirkt wie die Aushändigung eines Phallus, eines Zeichens seiner Potenz als König. Aber Viserys wird ihm nicht gerecht.

Er scheitert daran, durch den Todesstoß für ein edles Tier seine Macht zu demonstrieren. Rhaenyra hingegen, die mit Criston Cole ausreitet, wird von einem Wildschwein angegriffen, das von ihr nach einem kurzen Kampf getötet wird. Und nicht nur das, sie sieht den weißen Hirsch, welcher der Jagdhauptgruppe entgangen ist. Hier gibt es eine aussagekräftige Überblendung: Nachdem sie das Wildschwein erstochen hat, sehen wir ihren Vater vor einem Feuer stehen.

Hochzeiten und Thronfolge

Überhaupt, Rhaenyra: Die Reise ihres wachsenden Zornes geht weiter. Zwar ist ihre Ernennung zur Thronfolgerin (noch) nicht revidiert, aber ihr Halbbruder ist in Lauerstellung. Und sie soll nun dringend verheiratet werden. Dazu gibt es allerlei Vorschläge, darunter auch der von Otto Hightower eingebrachte, Rhaenyra könnte doch den zweijährigen Aegon heiraten – was nicht nur eine Ehe unter Halbgeschwistern wäre, sondern Rhaenyra zur Stief- und Schwiegertochter von Alicent machen würde.

Spannend ist das Heiratsgesuch, das ihr von Jason Lannister entgegengebracht wird, und zwar aufgrund der Namensgebung. Jason ist in der griechischen Mythologie immerhin der Ehemann Medeas, die aus Rache ihm gegenüber (Untreue spielt eine Rolle) die gemeinsamen Kinder tötet. Macht er zukünftig Rhaenyra zur Kindesmörderin?

Vorerst natürlich nicht. Jason bietet Rhaenyra einen Becher Honigwein an, sie verschmäht beides, den Mann und den Wein. Viserys hingegen trinkt Wein und lamentiert. Die Folge ist insgesamt sehr wortlastig – ohne dass sich viel Neues ergibt. Wir haben inzwischen verstanden, dass es Schwierigkeiten in der Bestimmung der Thronfolge gibt oder dass Hochzeiten und Geburten vor allen Dingen der Sicherung von Machtinteressen und -positionen dienen. Oder dass Rhaenyra nicht viel daran gelegen ist, verheiratet zu werden.

Wenn also Alicent zu ihrem Ehemann Viserys irgendwann sagt "War der Wein wenigstens gut?", dann kann man das auch im Zusammenhang des doch sehr Dialoglastigen der Episode sehen. Es wird sehr viel noch einmal und noch einmal gesagt – als wäre die Folge selbst ein Betrunkener, der auf bestimmte Stichworte so vor sich hin brabbelt.

Show don't tell

Die starken Momente in der Episode sind hingegen solche des bildlichen Erzählens. Allen voran Viserys' Unvermögen im Durchführen eines Potenz-Rituals, der Tötung des Hirschs. Aber auch die entschlossenen Handlungen Daemons zum Ende der Folge. Bezeichnenderweise spricht er in der gesamten Folge kein einziges Wort. Er schlägt auf den Boten ein, der die Befürwortung der Kriegsführung gegen den "Crab Feeder" überbringt. Und dann entwickelt er aus den vermeintlichen Friedensverhandlungen (hier hält er sein Schwert ähnlich vor sich, wie zuvor Viserys sein Speer gereicht worden ist) eine Täuschung und einen Angriff. Er läuft in einen Hagel aus Pfeilen und, nachdem Drachen dem Krieg die entscheidende und finale Wendung zugunsten der Krone gebracht haben (warum hat das drei Jahre gedauert?), tötet er den Anführer der Feinde.

Ob es nun besser ist, den impotenten (Viserys) oder den hinterlistigen Krieger (Daemon) zu sehen: Es ist eine Erleichterung, wenn das Gerede ein Ende hat. Zu beachten ist die Veränderung der Tonspur (sie wird für einen Moment lang dumpfer), als Daemons Wut über die Nachricht, die Krone werde in den Krieg eintreten, aufkommt. Es ist, als würde hier gezeigt, dass man nicht länger zuhören muss, wie immer dasselbe gesagt wird.

Was wünschen wir uns von einer Unterhaltungsserie? Unterhaltung. Wenn das aber eine künstlerische sein soll, dann kann es problematisch werden, wenn dem Publikum ständig erklärt wird, worum es geht. Anton Tschechow wird, wenn auch diese Worte so nicht von ihm stammen, der Hinweis "Show, don’t tell" für das Entwickeln künstlerischer Narrative zugeschrieben. Gemeint ist, dass man durch die Handlungen zeigt, worum es geht. Darin entfalten sich das Narrativ oder die Motive der Figuren, nicht dadurch, dass eine Figur, die sich in einem emotionalen Konflikt befindet, ausspricht: "Ich befinde mich in einem emotionalen Konflikt".

In "House of the Dragon" gibt es in dieser Hinsicht bisher Tschechow-Momente und Anti-Tschechow-Momente. Etwas zu oft wird betont, dass es nicht vorgesehen ist, dass eine Frau den Thron besteigt. Oder dass Rhaenyra eine von den höfischen Gepflogenheiten und machtsichernden Vermählungen emanzipierte Frau ist. Das sind Anti-Tschechow-Momente. Dann aber gibt es auch Sequenzen wie die Tötung des Hirschs durch Viserys, wo ohne Worte in Szene gesetzt wird, dass es ihm an Entschlossenheit mangelt. Oder auch die Handlungen Daemons. Das sind (in der Tendenz) Tschechow-Momente, denn es wird gezeigt, nicht erklärt. Natürlich kann man auch in Dialogen zeigen, ohne zu erklären, und auch das gelingt "House of the Dragon" ein ums andere Mal. Aber Rhaenyra muss zu Alicent nicht sagen: "Ich habe neuerdings so meine Probleme mit dir."

"Die Ringe der Macht": Konkurrenz?

So, aber nun zum Elefanten im Raum. Was ist mit "Die Ringe der Macht", der vergangene Woche gestarteten Serie auf Amazon Prime? Auch im Wettbewerb der Streamingdienste ist "war afoot". Daher lohnt sich ein knapper Vergleich. "Die Ringe der Macht" hat es – zumindest in meiner Gunst – etwas schwerer. Erster Grund: Ganz so leicht kann man dann doch nicht ausblenden, dass eine von Amazon produzierte Serie im selben Warenkorb liegt wie die "Herr der Ringe"-Romantrilogie oder der Zwergenstreithammer, die man jeweils gleich mitbestellen kann. Natürlich verfolgen auch HBO/Sky Werbe- und Marketingstrategien, aber es macht einen Unterschied, ob es ein Versandhaus ist oder nicht, das um Kundinnen und Kunden wirbt. Zweiter Grund: die Choräle in "Die Ringe der Macht". Es ist doch wirklich sehr sakral geraten.

Aber sei’s drum. Zumindest in der ersten Folge der "Ringe der Macht" sehen wir – meinem Eindruck nach – einen entscheidenden Unterschied in der Art des Erzählens. Und der hat mit Tschechow zu tun. "Die Ringe der Macht" zeigt eindrucksvolle Bilder in wohl beispielloser Weise. Das ist beeindruckend, aber eine Szenenabfolge, in der jede Einstellung so aussieht, als könnte sie ein Filmplakat sein, ist irgendwie irritierend. Das ist sinnbildlich: Den "Ringen der Macht" fehlt es bisher an erzählerischer Tiefe. Oder anders gesagt: Hier wird zu viel erklärt und sich – im Narrativ, nicht in der Ästhetik! – zu wenig auf das Zeigen verlassen. Auch dafür finden wir eine besonders beispielhafte Szene: Ganz zu Beginn bekommt Galadriel von ihrem Bruder einen Satz zugeflüstert, eine Antwort darauf, wie sie das Helle vom Dunklen unterscheiden könne (wo sich doch der Himmel im Meer spiegeln könne, also das Oben im Unten). Wir hören das zunächst nicht. Ganz am Ende der Folge erhalten wir die Auflösung: Man kann es nicht wissen, bevor man nicht das Dunkle berührt hat.

Hier wird nicht nur, das ist ja nicht gerade Fantasy-untypisch, eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse in einigermaßen ausgetretene Metaphern gegossen (Helles strahlt, Finsteres schluckt das Licht), sondern eben auch zu viel erklärt, das Angedeutete und Geflüsterte wird gelüftet – und das Publikum kann nicht auf eigenem Weg erschließen, was Galadriel hier charakterbildend mit auf den Weg bekommen hat (das macht Sofia Coppola in der Schlussszene von "Lost in Translation" zum Beispiel anders). An einer anderen Stelle wird verbalisiert, dass es schwer sei, zwischen Verbundenheit und Pflicht (oder Ähnlichem) zu vermitteln. Im Grunde könnte eine Figur dann auch gleich sagen: "Oh, ich bin in einem Motivkonflikt."

Ich würde mir eine Serie so wünschen, dass sie in der Art des Erzählens möglichst viel auf ihre Figuren vertraut und ihr Publikum möglichst ernst nimmt. Es ist den Menschen zumutbar, in einer Erzählung nicht ständig an die Hand genommen zu werden. Dann bleiben mehr und andere Fragen, als die danach, ob denn wenigstens der Wein gut war.

Ausblick

Worauf können wir in "House of the Dragon" gespannt sein? Wird Jason Rhaenyra zur Kindesmörderin machen? Wann und wie wird Viserys abdanken? Wird Daemon noch einmal Dialogzeilen erhalten? Welche abgefahrenen Verwandtschaftsverhältnisse können sich noch zwischen Rhaenyra und Alicent ergeben? Wann kommt der narrative Zeitsprung, nach dem beide Figuren von anderen Schauspielerinnen verkörpert werden? Und am wichtigsten: Werden wir noch Zeuge einer Drachenromanze? (Timo Storck, 6.9.2022)