Das monumentale Gemälde "Unabhängigkeit oder Tod" des Malers Pedro Américo ist im Museu Paulista der Universität von São Paulo – auch bekannt als Ipiranga-Museum – zu sehen. Darüber hängt ein Portrait Dom Pedros.
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Vor jedem Fußballländermatch der Seleção ist von den ruhigen Ufern des Ipiranga zu hören. In der opernhaften Hymne Brasiliens wird schon in der ersten Zeile das Flüsschen in São Paulo besungen: Hier, am Riacho do Ipiranga, habe man den Widerhall des Aufschreis eines heroischen Volkes gehört.

Zentrum des brasilianischen Nationalstolzes

Der Ipiranga – Tupí für "rotes Wasser" – ist in der heutigen Zeit mehr schmutziges Rinnsal als ein von der Terra roxa, der roten Erde, gefärbter Fluss. Dennoch ist hier das Zentrum des brasilianischen Nationalstolzes. Der "Aufschrei des heroischen Volkes" war vielmehr der Ruf eines einzelnen Mannes: Portugals Kronprinz Dom Pedro setzte sich am 7. September 1822 am Ufer des Ipiranga mit der Losung "Unabhängigkeit oder Tod" an die Spitze der brasilianischen Unabhängigkeitsbewegung. Seine Worte gingen als "Schrei von Ipiranga" in die Geschichte ein, der Moment wurde zur Geburtsstunde Brasiliens.

Das Museum wurde nach einer längeren Renovierung rechtzeitig zu den 200-Jahr-Feiern wiedereröffnet.
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Der Wille zur Eigenständigkeit entsprach grundsätzlich dem allgemeinen Trend auf dem Kontinent: Seit 1809 hatten nacheinander mehrere spanische Gebiete in Lateinamerika ihre Unabhängigkeit von der Kolonialmacht ausgerufen, was in blutige Befreiungskriege mündete. Im portugiesischen Teil Südamerikas war die Situation jedoch eine andere.

Ende 1807 hatte sich der portugiesische Hofstaat unter der Führung des Prinzregenten Dom João VI samt Schatzkammer und Staatsarchiv nach Brasilien abgesetzt, da Napoleon Bonaparte wegen der Weigerung Lissabons, die Kontinentalsperre gegen die Briten umzusetzen, ein Heer nach Portugal schickte.

Auch die Fassade des vor vier Jahren abgebrannten ehemaligen Herrscherpalastes und nunmehrigen Museu Nacional in Rio de Janeiro wurde rechtzeitig wiederhergestellt. Die Renovierung der Brandruine wird noch viele weitere Jahre in Anspruch nehmen.
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Einmalige Situation

Die portugiesischen Besitzungen wurden nun vom Palácio Imperial de São Cristóvão in Rio de Janeiro aus regiert – eine einmalige Situation in der Geschichte. Da das Mutterland Portugal von feindlichen Truppen besetzt respektive britisches Protektorat war, musste die Kolonie Brasilien in wirtschaftlichen Belangen unabhängig agieren. Während Portugal seine Kolonien zuvor von äußeren Einflüssen abgeschirmt hatte, wurden die Häfen für den Handel mit befreundeten Nationen geöffnet.

Der Wiener Kongress, der 1815 nach Napoleons Niederlage die Machtverhältnisse in Europa neu ordnete, befasste sich mit der portugiesischen Sondersituation. Als Konsequenz wurde das Vereinigte Königreich von Portugal, Brasilien und den Algarven gegründet. Damit wurde die Kolonie zu einem eigenständigen Königreich, das mit der früheren Kolonialmacht in Personalunion verbunden war.

Dom Pedro führte Brasilien in die Unabhängigkeit.
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Der Königshof in den Tropen verkomplizierte die Suche nach einer standesgemäßen Ehepartnerin für Joãos Sohn Pedro. Fündig würde man schließlich am Wiener Kaiserhof: Maria Leopoldine von Österreich, die Tochter Kaiser Franz’ I., reiste 1817 nach Brasilien, um den portugiesischen Thronfolger zu heiraten. Im Gefolge der gebildeten und naturwissenschaftlich interessierten Erzherzogin schickte der österreichische Kaiserhof eine große Expedition von Botanikern, Zoologen und Mineralogen mit, deren gesammelte Objekte noch heute einen wichtigen Teil der Kollektionen des Naturhistorischen Museums (NHM) und des Weltmuseums bilden.

Die gebildete Erzherzogin Maria Leopoldine von Österreich hatte großen Einfluss auf die Politik Dom Pedros. Die Ehe der beiden endete jedoch tragisch: die Kaiserin starb nach einer Fehlgeburt, vermutlich infolge von Misshandlungen durch ihren Mann.
Foto: NHM Wien, Alice Schumacher

Liberalismus versus Absolutismus

João VI amtierte bereits mehr als zwei Jahrzehnte für Königin Maria I, seine regierungsunfähige Mutter, bis diese 1816 starb. Die reale Macht lag jedoch ohnehin zu einem guten Teil in den Händen des Adels. Dieser drängte João zu einer baldigen Rückkehr nach Portugal, wogegen er sich lange Zeit sperrte. Doch in der alten Heimat regten sich Unruhen. Der Krieg Napoleons hatte dramatische Folgen für die Wirtschaft, sowohl die französischen als auch die britischen Truppen verwüsteten das Land.

Die Franzosen hatten bei ihrem Feldzug noch etwas anderes im Gepäck: Wie an vielen Orten Europas machten sich auch in Portugal nun liberale Ideen breit. Dies alles sorgte in Verbindung mit der Absenz des Königshofes und der Anwesenheit der britischen Militärkommandanten für eine explosive Mischung. Mit einem Aufstand von Offizieren der portugiesischen Armee begann 1820 eine liberale Revolution. Eine provisorische Regierung übernahm die Macht, die Briten wurden aus ihren Positionen entfernt. Die Cortes, eine Ständeversammlung, wurden einberufen, um eine Verfassung auszuarbeiten. Vom König wurde die sofortige Rückkehr verlangt, seine Regentschaft jedoch anerkannt.

Dom Pedros Herz ist anlässlich des Bicentenário zu Besuch in Brasilien.
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"Setze dir die Krone selbst auf"

In Brasilien regte sich dagegen Widerstand: Ohne den König würde man wieder in die Rolle einer Kolonie zurückgestuft, wurde befürchtet. Zunächst überlegte João, Pedro an seiner Stelle nach Lissabon schicken, was dieser jedoch ablehnte. Im April 1821 verließ der König schließlich nach mehr als 13 Jahren Brasilien wieder Richtung Portugal. Zuvor setzte er Pedro als Prinzregenten ein und prognostizierte ihm die baldige Trennung der beiden Länder. Für diesen Fall lautete sein väterlicher Rat: "Setze dir die Krone selbst auf, bevor es ein Abenteurer tut."

Dies geschah bald: Pedro leitete die Autonomie ein und musste sich mit meuternden portugaltreuen Truppen auseinandersetzen. Aus Lissabon kam Anfang September 1822 der Befehl der Cortes zur Rücknahme der Selbstverwaltung. Zu dem Zeitpunkt hielt sich Pedro gerade in São Paulo auf und hatte Leopoldine als Regentin in Rio zurückgelassen. Diese riet ihrem Mann zur Ausrufung der Unabhängigkeit, was Pedro am Ipiranga umsetzte.

Ausgestellt ist es im Palácio Itamaraty, dem Außenministerium in Brasília.
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Intrigen und Putschversuche

Während João die Rückkehr offensichtlich schwerfiel, freute sich die Königin Dona Carlota Joaquina. Beim Ablegen des Schiffes rief sie, sie habe 13 Jahre im Dunkeln gelebt "und nur Neger und Mulatten um mich gesehen. Endlich werde ich in ein Land kommen, das wieder von Menschen bewohnt ist", schreibt der Historiker Robert Wagner in seinem Buch "Brasilianische Reisen" über die Geschichte Leopoldines. Die spanische Infantin Carlota Joaquina führte wiederholt Intrigen und Putschversuche gegen João an.

Bei Ankunft des imperialen Herzens in Brasília fabrizierte die brasilianische Luftwaffe ein Herz über der Hauptstadt.
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Unter anderem stiftete sie auch Pedros jüngeren Bruder Miguel zu Revolten an. Das führte später sogar zum Bruderkrieg, als Pedro nach dem Tod Joãos zugunsten seiner minderjährigen Tochter Maria II auf den Thron Portugals verzichtete und Miguel sich mit Unterstützung der Absolutisten zum König machte. Pedro und Maria, die von den Liberalen unterstützt wurden, setzten sich durch, womit Portugal endgültig eine konstitutionelle Monarchie wurde.

Der Nationalkongress in Brasília hat sich für die Jubiläumsfeiern in die Nationalfarben getaucht.
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Rechtzeitig zum Bicéntenario wurde in Rio de Janeiro die Fassade des vor vier Jahren abgebrannten ehemaligen Herrscherpalastes und nunmehrigen Museu Nacional wiederhergestellt. Aus Porto wurde für die Feiern Dom Pedros Herz eingeflogen – sein Leichnam liegt seit fünfzig Jahren ohnehin in einer Krypta des Unabhängigkeitsdenkmals am Ipiranga bestattet. Das NHM zeigt derzeit die Sonderausstellung "Brasilien. 200 Jahre Beziehungsgeschichten". Zum Jahrestag am Mittwoch findet eine Festveranstaltung statt. (Michael Vosatka, 7.9.2022)