Mit Gustavo Petro und Francia Márquez regieren erstmals zwei Linke das Land.

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Für seine Angelobung ordnete Petro an, das Schwert des Freiheitshelden Simón Bolívar herbeizubringen.

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Es ist ein Einschnitt: Noch nie in seiner mehr als 200-jährigen Geschichte seit seiner Unabhängigkeit von Spanien hatte Kolumbien eine progressive Regierung. Auf den neuen Präsidenten Gustavo Petro und seine Vize Francia Márquez warten enorme Herausforderungen. Das linke Parteienbündnis "Historischer Pakt" will Armut und soziale Ungleichheit durch Sozialprogramme bekämpfen, das Pensions-, Gesundheits- und Bildungssystem stärken, die Abhängigkeit von Rohstoffen verringern und das Steuersystem reformieren. Der ländliche Raum sowie der Tourismus sollen gefördert und grüne Energieprojekte ausgebaut werden.

Zudem will die Regierung neue Verhandlungen mit der noch aktiven ELN-Guerilla beginnen und das Friedensabkommen mit der größten ehemaligen Guerilla, der Farc (Entwaffnung 2017), vollständig umsetzen.

Dies fordert auch die Wahrheitskommission, die Ende Juni ihren über 8.000 Seiten umfassenden Abschlussbericht über die Verbrechen des jahrzehntelangen Krieges vorlegte.

Das Friedensabkommen von 2016 sieht unter anderem eine Agrarreform vor, die bisher nicht begonnen wurde.

Außenpolitisch plant die Regierung die Normalisierung der Beziehungen zum Nachbarland Venezuela, das innerhalb Lateinamerikas immer weniger isoliert ist. In den vergangenen Jahren war Petros Vorgänger Iván Duque einer der entschiedensten Gegner des venezolanischen Staatschefs Nicolás Maduro.

Angstkampagne reichte nicht

In der Stichwahl am 19. Juni hatte sich Petro mit etwa 50,4 Prozent der Stimmen gegen den Rechtspopulisten Rodolfo Hernández durchgesetzt, der auf 47,3 Prozent kam.

Nach der ersten Runde am 29. Mai war dies nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Zwar war Petro mit gut 40 Prozent gegenüber 28 Prozent für Hernández auch hier klar vorne gelegen. Gemeinsam mit den Stimmen der dritt- und viertplatzierten Kandidaten, des Rechten Federico Gutiérrez und des Zentristen Sergio Fajardo, entfielen auf Petros wichtigste Gegner insgesamt jedoch 56 Prozent.

Wie diskreditiert die bisherige politische Elite ist, zeigt der Umstand, dass es mit Hernández ein rechter "Antipolitiker" in die Stichwahl schaffte, den viele als "kolumbianischen Trump" bezeichnen. Der wichtigste Programmpunkt des 77-jährigen Bauunternehmers war der Kampf gegen Korruption. Gleichzeitig war er der einzige Kandidat, gegen den ein Korruptionsverfahren läuft. Die politische Rechte stellte sich in der Stichwahl überwiegend hinter Hernández, der ihr trotz seiner Kritik weitaus näher steht als Petro.

Dieser hatte vor allem mit einer Angstkampagne zu kämpfen, wonach Kolumbien unter einer linken Regierung ein "zweites Venezuela" werden würde. Von seinen politischen Gegnern und Gegnerinnen und in vielen Medien wurde von Petro im Wahlkampf das Bild des Ex-Guerilleros gezeichnet.

Gewalt gegen Linke

Tatsächlich war der neue Präsident zwölf Jahre lang Mitglied der kleineren Guerilla M-19, die in den 1970er- und 1980er-Jahren bestand. Eine Führungsposition hatte der heute 62-Jährige jedoch nicht. Nach der Auflösung der Guerilla 1990 wurde Petro Berufspolitiker und war unter anderem Abgeordneter, Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá sowie Senator.

Sein Programm ist keineswegs linksradikal, sondern eher klassisch sozialdemokratisch mit grünen Einflüssen.

In Kolumbien jedoch gilt dies für die politischen und wirtschaftlichen Eliten bereits als gefährlich.

Linke Politiker und Politikerinnen wurden in den vergangenen Jahrzehnten häufig offen gewaltsam bekämpft und sogar getötet. Das Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc von 2016 hat es ermöglicht, linke Positionen stärker als zuvor in das politische System zu integrieren, da diese nicht mehr so einfach wie früher als "Vertreter und Vertreterinnen der Guerilla" diskreditiert werden können. Die breiten gesellschaftlichen Proteste 2019 und 2021, die sich gegen die neoliberale Politik der Duque-Regierung richteten, haben zudem soziale Probleme und verbreitete Armut stärker sichtbar gemacht und den verbreiteten Wunsch nach Alternativen aufgezeigt.

Erste Frau als Vize

Für Furore sorgte im Wahlkampf Francia Márquez, die bei den Vorwahlen des linken Bündnisses "Historischer Pakt" einen starken zweiten Platz belegt hatte. Unter Petro ist sie nicht nur Vizepräsidentin, sondern wird auch das neu eingerichtete Ministerium für Gleichberechtigung leiten. Die schwarze Umwelt- und Bürgerrechtlerin stammt aus einer afrokolumbianischen Gemeinde des südwestlichen Departamentos Cauca und ist in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Früh engagierte sie sich gegen Bergbauprojekte.

Bereits mit 16 wurde sie schwanger, arbeitete später als Haushaltshilfe und schaffte es dennoch, Jus zu studieren. 2018 erhielt Márquez für ihr Engagement gegen die ökologischen und sozialen Folgen des Bergbaus den renommierten Umweltschutzpreis Goldman Environmental Prize, der in den USA vergeben wird. Mit ihrer Herkunft und Geschichte verkörpert sie das marginalisierte Kolumbien, auf das die rechten Regierungen stets verächtlich hinabblickten.

Márquez' Kritiker und Kritikerinnen werfen der 40-Jährigen vor allem fehlende politische Erfahrung vor, da sie noch nie ein politisches Amt ausgeübt hat. Diesen Vorwurf konterte sie im Wahlkampf elegant. "Warum hat Ihre Erfahrung es uns nicht möglich gemacht, in Würde zu leben?", fragte sie mit Verweis auf die bisherige politische Elite.

Márquez' Mobilisierungsfähigkeit in ärmeren Regionen dürfte maßgeblich zum Wahlsieg beigetragen haben. Mit ihrer Kandidatur brachte sie die Themen Rassismus und Armut in die öffentliche Debatte. Nicht nur afrokolumbianische, sondern auch indigene, kleinbäuerliche und ökologische Bewegungen sehen in ihr die wahre Hoffnung auf Wandel.

Schwieriger Weg

Doch um die Wahlversprechen umzusetzen, wird die neue Regierung voraussichtlich heftige Angriffe von rechts abwehren müssen. Seit dem Friedensschluss zwischen Regierung und Farc 2016 ist die Gewalt im Land zwar zurückgegangen. Doch sind neben Farc-Dissidenten und -Dissidentinnen und der kleineren Guerilla ELN zudem paramilitärische Gruppen weiter im Land aktiv. In den vergangenen sechs Jahren wurden laut der Nichtregierungsorganisation Indepaz mehr als 1.300 Umwelt- und Sozialaktivistinnen und -aktivisten sowie mehrere hundert demobilisierte Farc-Kämpfer und -Kämpferinnen getötet.

Im Kongress hat das linke Parteienbündnis samt Verbündeten keine eigene Mehrheit. Petro, der sich bereits im Wahlkampf teilweise mit konservativen Beraterinnen und Beratern umgeben hat, ist also auf Absprachen mit anderen politischen Kräften angewiesen. Sein Kabinett besetzte er mit Politikerinnen und Politikern unterschiedlicher politischer Strömungen. Auf dem Weg in eine erhoffte gerechtere Gesellschaft muss die erste progressive Regierung Kolumbiens zunächst langsam und bedacht starten. (Tobias Lambert, "Südwind-Magazin", September/Oktober 2022)