Unter der Leitung von Franziska Leeb diskutierten Katharina Bayer, Martin Franzmair, Andrea Jany, Thomas Meindl und Gernot Tscherteu (v. li.).

oreste.com

Soziologe Christoph Reinprecht setzte Impulse zum Thema "Soziale Nach haltigkeit".

oreste.com

Bei den Tischgesprächen des Wohnsymposiums wurde gemeinsam nach Antworten und Lösungen gesucht – diese wurden mit dem Saal geteilt.

oreste.com

Eine Bibliothek wird zum sozialen Treffpunkt in der Wohnanlage Seebogen in der Seestadt Aspern.

Hertha Hurnaus

Soziale Nachhaltigkeit wird durch Gemeinschaftseinrichtungen geschaffen, wo sich Bewohnerinnen und Bewohner treffen können.

Oliver Schopf

Vom (Kinder-)Partyraum bis zum Klettergarten, vom Nachbarschaftscafé über Urban Gardening bis zum Leihlastenrad: Soziale Nachhaltigkeit im geförderten Wiener Wohnbau hat heutzutage viele Erscheinungsformen. Doch anfangs war man sehr skeptisch, was denn da alles vorgeschlagen werden würde, erzählte Dietmar Groschopf, stellvertretender Leiter des Wohnfonds Wien, auf dem jüngsten, dem 73. Wohnsymposium von STANDARD und Wohnen Plus. Der Anfang, das war diesfalls 2009, als die soziale Nachhaltigkeit als vierte Säule neben Architektur, Ökonomie und Ökologie bei den Bauträgerwettbewerben des Wohnfonds aufgestellt wurde. Gemeinschaftsbildung wurde fortan also großgeschrieben.

Das Ergebnis des allerersten Wettbewerbs? "Ein nahezu überbordendes Angebot an Gemeinschaftseinrichtungen" im gemeinnützigen Wohnbau, erinnerte sich Groschopf, es ging dabei um Bauplätze im Sonnwendviertel, wo unter anderem Laufband und Kletterwand, Skaterrampe, Schwimmbad und Sauna erdacht und gebaut wurden. In späteren Wettbewerben habe sich das "auf ein normales Maß reduziert".

Das Wohnsymposium fand am vergangenen Donnerstag in den Räumlichkeiten der Internationalen Bauausstellung (IBA Wien) statt. Hausherr und IBA-Leiter Kurt Hof stetter wies schon in seiner Begrüßung darauf hin, dass der jüngste Schritt hin zum Fokus auf die Quartierentwicklung im Wiener Wohnbau ein ganz entscheidender war.

Was ist das Neue?

Denn soziale Nachhaltigkeit dürfe nicht beim einzelnen Gebäude aufhören, es komme vielmehr "auf den Stadtraum an", betonte im Anschluss auch der Soziologe Christoph Reinprecht als Impulsgeber beim Symposium. Er griff das IBA-Motto "Neues Soziales Wohnen" auf und fragte, was denn genau das Neue daran sein. Seine Antwort: dass man das "Unvorstellbare", nämlich die Bedürfnisse künftiger Generationen, mitbedenke und versuche zu antizipieren. Dass man sie auch visualisieren müsse, stellte er zum Erstaunen mancher Anwesender in Abrede; von hübschen Ren derings halte er gar nichts, "die schrauben nur Erwartungen hoch".

Reinprecht plädierte dafür, den Menschen "mehr zuzutrauen", also beispielsweise Gemeinschaftsräume selbst verwalten zu lassen. Doch es seien auch sogenannte inter mediäre Akteure wichtig, also etwa Stadtteilmanagements oder Wohlfahrtsorganisationen, mit denen zusammengearbeitet wird.

Oder auch die Vertreter jener "ganz neuen Dienstleistungsbranche", die sich rund um die vierte Säule mittlerweile entwickelt habe, wie es Groschopf nannte. Zwei davon nahmen im Anschluss für eine Diskussion auf dem Podium Platz: Gernot Tscherteu, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Realitylab, das seit 2010 soziale Prozesse im Wohnbau, etwa bei Baugruppen, begleitet und moderiert. Und Thomas Meindl vom Carita-Stadtteilmanagement, das vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Er betonte den wichtigen Aspekt des "Empowerments", den eine solche professionelle Prozessbegleitung leiste. Was damit gemeint ist? "Dass Leute gehört werden, die ansonsten weniger gehört werden."

Doch anfangs, ja, da sei die Skepsis groß gewesen, sagte auch Tscherteu. "Zu Beginn war sehr unklar, was soziale Nachhaltigkeit überhaupt ist." Doch man habe im letzten Jahrzehnt einiges weitergebracht, "neuerdings steht auch das Zusammenleben im Quartier immer stärker im Fokus, mit bauplatzübergreifenden Gemeinschaftsräumen". Ein großer Schritt, "der auch wirklich zu Nachbarschaft führt".

Der es aber auch mit sich bringt, dass manche Menschen sozusagen zwangsbeglückt werden könnten – darauf wies Doris Molnar von der Gedesag in ihrer Wortmeldung aus dem Publikum hin. "Manche wollen sich vielleicht gar nicht einbringen."

Schon Reinprecht hatte zuvor vor der Idee gewarnt, "dass ein Grätzel gleichbedeutend mit einer Gemeinschaft ist. Das ist aber mehrschichtig, inhomogen; manche haben eine hohe Identifikation, manche eine geringe." Man könne also nicht alle über einen Kamm scheren.

Innsbrucker Pilotprojekt

Wie das in Innsbruck aussieht, erzählte Martin Franzmair vom stadteigenen Immobilienunternehmen IIG. Im neuen Stadtteil Campagne Reichenau mit rund 1100 Wohn einheiten habe man gerade das erste Stadtteilmanagement installiert; dieses versuche dort nun auch, ein Bürgerengagement anzustoßen. "Nicht als Kümmerer, aber als Clearingstelle für kleinere Probleme." Das Angebot würden "ganz viele in Anspruch nehmen, ohne sich groß zu engagieren" – was als Antwort auf Molnars Frage zu verstehen war.

Auch Groschopf hatte in seinem Eingangsstatement aber, wenn er von großer Skepsis sprach, auch jene Skepsis darüber gemeint, ob denn diese vielen neuen Gemeinschaftseinrichtungen auch genutzt werden würden. Hier habe sich aber die partizipative Entwicklung gemeinsam mit den späteren Bewohnerinnen und Bewohnern sowie ein aktives Besiedlungsmanagement als zielführend erwiesen.

Dass ein Besiedlungsmanagement beim Bezug eines neuen Wohnhauses wichtig ist, unterstrich auch Soziologe Reinprecht. "Doch es wäre auch wichtig, wenn die Begleitung danach weiterginge." Das ist aber oft nicht der Fall.

Im Neubau könne man wenigstens viele notwendige Dinge noch in den Baukosten unterbringen, doch im Bestand gehe das nicht, beklagte Meindl von der Caritas. Katharina Bayer von Einszueins Architektur pflichtete ihm bei: Auch im Bestand sei soziale Nachhaltigkeit ein Prozess, der nie aufhöre. Die Ausgangslage sei dort aber eine ganz andere. "Die Architektur ist die Hardware, die die Möglichkeiten bietet", bestehende Netzwerke unter den Bewohnerinnen und Bewohnern seien die Software, "die muss man aber zuerst einmal identifizieren".

Klare Bilder gesucht

In Sachen Hardware musste die Architektin dem Soziologen dann noch widersprechen: Renderings seien wichtig. "Wir brauchen klare Bilder, wie die Zukunft aussehen soll." Man müsse sie sich zunächst einmal vorstellen können. Das unterstrich auch die Wohnbauforscherin Andrea Jany: Man müsse Utopien aufzeigen, "die müssen greifbar werden für die Menschen".

In den anschließenden Tischgesprächen suchten Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Lösungen, wie sich soziale Nachhaltigkeit noch besser umsetzen ließe. Sie sollte nämlich "über die gesamte Planungs- und Lebensdauer gedacht werden", so lautete eine Forderung. Die Hausverwaltungen wären da ein wichtiger Faktor, doch die hätten finanziell ein "enges Korsett" und seien in der Projektentwicklung meist nicht dabei. Dass sich das dringend ändern müsste, das ging aus mehreren Wortmeldungen hervor.

Der Aufbau von Beziehungen brauche nun einmal Zeit, deshalb wäre es gut, Begleitprojekte länger laufen bzw. beobachten zu lassen, hieß es weiters. Und ein Tisch brachte auch autonome Sozialtöpfe in Wohnhäusern ins Spiel: Mieterinnen und Mieter könnten jeden Monat ein paar Euro in einen Sozialtopf einzahlen, aus dem dann Betreuungs- und Unterstützungsleistungen finanziert werden.