Beteigeuze, der linke Schulterstern des Orion, beschäftigt Astronomen schon seit vielen Jahrhunderten. Das lässt sich auch für die zeitgenössische Astrophysik nützen.

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Von der Erde aus ist der Stern auch mit bloßem Auge als heller roter Punkt gut erkennbar. Beteigeuze, etwa 640 Lichtjahre von uns entfernt, zählt zur Klasse der sogenannten Roten Überriesen, den Sternen mit dem größten Volumen im bekannten Universum. Konkret hat der von uns aus gesehen linke Schulterstern des Orion den knapp tausendfachen Durchmesser unserer Sonne.

Sonne und Beteigeuze im Größenvergleich.
The Bendu Order

In die Schlagzeilen geriet der Stern, der in der letzten aufgeblähten Phase seines Lebenszyklus steht, in den vergangenen drei Jahren immer wieder, weil er sich Ende 2019 aus zunächst unerfindlichen Gründen stark verdunkelte. Inzwischen ist klar, dass der Stern sich eines gewaltigen Stücks seiner Oberfläche entledigte – eine Eruption, von der sich Beteigeuze mittlerweile aber wieder erholte, wie jüngste Studien zeigen (DER STANDARD berichtete hier und zuletzt hier).

Diese Aufnahmen des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (Eso) zeigen die Verdunkelung von Beteigeuze zwischen Herbst 2019 (links) und Frühjahr 2020 (rechts). Im April 2020 war der Spuk dann vorbei.
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Stern der Wandlungen

Doch auch mittelfristig ist Beteigeuze – die Übersetzungen seines arabischen Namens reichen von "Hand der Riesin" bis zu "Schulter des Riesen", auf Englisch heißt er "Betelgeuse", was auch schon zu "Beetlejuice" verballhornt wurde – ein Stern der Wandlungen: Wie ein internationales Astrophysikerteam um Ralph Neuhäuser (Friedrich-Schiller-Universität Jena) zeigte, dürfte der Rote Überriese vor rund 2.000 Jahren noch gelb-orange geleuchtet haben. Das schließen die Forschenden aus der Auswertung historischer Quellen, die damit auch Aufschlüsse über das Alter und den Entwicklungsstand des Sterns in seiner letzten Phase geben.

Eine wichtige Quelle für die Forschungsarbeit, die kürzlich in den "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" erschien, ist der chinesische Hofastronom Sima Qian. Der bestimmte vor rund 2.100 Jahren Sternfarben wie folgt: Weiß ist wie Sirius, Rot wie Antares, Blau wie Bellatrix. Für gelbe Sterne hieß es bei ihm: "Für Gelb vergleiche die linke Schulter des Shen." Shen ist die chinesische Bezeichnung für das Sternbild Orion.

Ralph Neuhäuser, Erstautor der neuen Untersuchung, schließt daraus, dass Beteigeuze damals in der Farbe zwischen den blau-weißen Sirius und Bellatrix und dem rötlichen Antares gelegen haben muss. (Der griechische Name Antares bedeutet "wie Mars" in Farbe, er wurde bei vielen Kulturen als rot beschrieben und mit dem Mars verglichen.)

Historische Rückblicke

Neuhäuser bezieht seit etwa zehn Jahren historische Himmelsbeobachtungen in seine astrophysikalische Forschung ein – dieser Forschungszweig nennt sich "Terra-Astronomie". Dabei arbeitet er eng mit Kolleginnen und Kollegen aus den Geisteswissenschaften zusammen, insbesondere mit seiner Frau Dagmar. "Der Blick zurück liefert immer wieder spannende Impulse und wichtige Ergebnisse", sagt Neuhäuser. "Denn es gibt eine ganze Reihe astrophysikalischer Fragen, die sich mithilfe historischer Beobachtungen besser oder überhaupt erst lösen lassen."

Doch zurück zu Beteigeuze. Unabhängig von den chinesischen Quellen heißt es rund 100 Jahre später beim römischen Gelehrten Hyginus, Beteigeuze sei von gleicher Farbe wie der gelb-orange Saturn. Damit lässt sich der damalige Farbwert des Sterns noch genauer eingrenzen. Weitere antike Vertreter wie Ptolemäus liefern ebenfalls Indizien, dass Beteigeuze zu dieser Zeit nicht zur Gruppe der hellsten roten Sterne wie Antares (im Sternbild Skorpion) und Aldebaran (im Sternbild Stier) gehört hat.

Farbentwicklung von Beteigeuze in den letzten 4.000 Jahren im Vergleich.
Illustration: Neuhäuser et al. 2022, MNRAS

Hertzsprung-Russell-Diagramm

Diese verschiedenen Beschreibungen sprechen dafür, dass sich Beteigeuze vor zwei Jahrtausenden erst noch in einem Vorstadium auf dem Weg zum Roten Überriesen befand. Dafür gibt es auch eine astronomische Phase, die er damals noch nicht übersprungen hatte: nämlich den sogenannten Riesenast im Hertzsprung-Russell-Diagramm der Sternenentwicklung.

Das passierte erst einige Jahrhunderte später. Denn eineinhalb Jahrtausende später hat sich die Farbe von Beteigeuze grundlegend geändert: "Aus einer Aussage des dänischen Astronomen Tycho Brahe lässt sich schließen, dass im 16. Jahrhundert Beteigeuze inzwischen Aldebaran an Röte übertroffen hat", sagt Neuhäuser. Heute ist Beteigeuze in Helligkeit und Farbe fast wie Antares.

Astrophysikalische Schlussfolgerungen

Und was verraten die historischen Überlieferungen über Beteigeuze? Lassen auch sie astrophysikalische Fragen beantworten? Für Neuhäuser lässt sich diese Frage eindeutig mit "Ja" beantworten: "Gerade aus der Tatsache, dass er sich in den letzten zwei Jahrtausenden farblich von Gelb-Orange zu Rot geändert hat, kann man zusammen mit theoretischen Rechnungen schließen, dass er etwa 14-mal mehr Masse als unsere Sonne hat – und die Masse ist die entscheidende Größe für die Entwicklung eines Sterns", sagt Neuhäuser.

Laut dem Astrophysiker ist Beteigeuze dementsprechend 14 Millionen Jahre alt und befindet sich in der Endphase seiner Entwicklung. In etwa 1,5 Millionen Jahren wird er schließlich als Supernova explodieren." Das sind dann doch wieder eher astronomische Zeitskalen – und enttäuscht all jene, die zuletzt wegen der Verdunkelung 2019 hofften, dass die Explosion von Beteigeuze demnächst bevorstehen könnte. (red, tasch, 7.9.2022)