Im Gastkommentar erläutern der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck, die EU-Energiekommissarin Kadri Simson und Dänemarks Klima- und Energieminister Dan Jørgensen die vier Ziele der "Marienborg-Erklärung".

Ein Offshore-Windpark in Dänemark.
Foto: Imago Images / Dean Kastrup

Russlands Nutzung der Energie als politische und wirtschaftliche Waffe hat die Ostsee-Anrainerstaaten zu Frontstaaten der internationalen Energiekrise gemacht. Doch durch Stärkung der Energiesicherheit, den Ausstieg aus russischen fossilen Energieträgern und die Versiebenfachung unserer Offshore-Windenergie-Kapazitäten in nur acht Jahren werden die Länder der Region eine Schlüsselrolle dabei spielen, Europa gegen Russlands Energiewaffe abzuschirmen.

Der in Dänemark abgehaltene Ostseegipfel zur Sicherheit der Energieversorgung hat zu diesem Zweck die Präsidentin der Europäischen Kommission, die EU-Kommissarin für Energie, Ministerpräsidenten, Präsidenten und Energieminister aus Deutschland, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden und Dänemark zusammengeführt. Die Ostsee war jahrhundertelang Kulisse internationaler Konflikte und Rivalitäten. Heute jedoch sind unsere acht Länder Mitglieder der Europäischen Union, und wir sind dabei, unsere Zusammenarbeit in Energiefragen deutlich zu verstärken.

Vier Ziele

Die russische Invasion der Ukraine war so schockierend wie ungerechtfertigt, und Russlands anschließender Einsatz seiner Gaslieferungen als politische und wirtschaftliche Waffe hat die Notwendigkeit deutlich gemacht, dass sich Europa von russischen Energieimporten unabhängig macht. Durch Aussetzung seiner Erdgasexporte unter eklatanter Verletzung bestehender Verträge versucht Russland, die EU an den Rand einer Energiekrise zu drängen und uns unter Druck zu setzen, von einer Hilfe für die Ukraine Abstand zu nehmen.

Wird Russlands Strategie funktionieren?

Wir haben die Zusammenarbeit in Energiefragen während des vergangenen Jahrzehnts deutlich verstärkt. Die gemeinsame Unterzeichnung der "Marienborg-Erklärung" durch unsere acht Länder und die Europäische Union markierte den Beginn einer neuen Ära für unsere Energiesysteme. Die Erklärung verfolgt vier Ziele.

Erstens wird sie den Ausstieg aus russischer Energie beschleunigen. Um uns von fossilen Energieträgern zu entwöhnen, werden wir unter anderem die Elektrifizierung unserer Energiesysteme vorantreiben, unsere Energieversorgung diversifizieren und unsere Gasnetze allmählich dekarbonisieren.

Zweitens haben wir die Vision einer Ausweitung unserer Offshore-Windenergie-Kapazitäten auf das beinahe Siebenfache während der kommenden acht Jahre formuliert. Durch Ausbau der bestehenden Kapazitäten von 2,8 Gigawatt (GW) auf mindestens 19,6 GW könnten wir bis zu 28,5 Millionen Haushalte mit Energie zu versorgen. Zur Verdeutlichung: Das entspricht in etwa der Gesamtzahl aller Haushalte in Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden und Dänemark.

Drittens muss die russische Energie in einigen unserer Länder kurzfristig durch Ausweitung der Importe von Flüssigerdgas (LNG) ersetzt werden. Weil LNG übers Meer transportiert wird, müssen wir die Koordinierung verbessern, um den wachsenden Seehandel im Ostseeraum zu bewältigen. Dies schließt die Zusammenarbeit beim Bau von Infrastruktur wie Häfen und LNG-Terminals mit ein.

Und schließlich werden wir gemeinsame grenzüberschreitende Erneuerbare-Energie-Projekte prüfen und die Anforderungen an die Infrastruktur ermitteln, um unter Achtung der nationalen energiepolitischen Prioritäten und Entscheidungen zum Energiemix die Integration der erneuerbaren Energie zu ermöglichen, die erforderlich ist, um die Sicherheit unserer Energieversorgung und bezahlbare Energie in unseren Haushalten und Unternehmen sicherzustellen.

Dramatische Umstellung

Der Energiesektor hat im Laufe des vergangenen Jahrzehnts weltweit eine dramatische, aber häufig übersehene Umstellung durchgemacht. So ist der globale Durchschnittspreis für Offshore-Windkraft seit 2010 um 60 Prozent gesunken, und diese kann heute billigere Energie liefern als die meisten fossilen Energieträger. Darüber hinaus wird uns eine Steigerung der inländischen Kapazitäten zur Energieproduktion in die Lage versetzen, "grünen" Wasserstoff zu produzieren, der allmählich als Alternative zu russischem Gas eingesetzt werden könnte.

Die geopolitische Lage im Energiebereich wandelt sich vor unseren Augen. Die russische Invasion in der Ukraine hat geopolitische Schockwellen durch Brüssel, alle anderen europäischen Hauptstädte und Washington, D.C., gesandt. Und während Energie schon des Öfteren als Waffe gegen Europa eingesetzt wurde, können wir die sinkenden Kosten für erneuerbare Energieträger und LNG sowie das Aufkommen der Wasserstoffwirtschaft nun als Schutzschild nutzen. Wir haben in diesem entscheidenden Moment eine einzigartige Gelegenheit, unsere historische Abhängigkeit von russischer Energie zu beenden und die Verantwortung für die Zukunft unserer Energieversorgung in eigene Hände zu nehmen. Auf diese Weise können wir der Welt zeigen, dass Energie nie als Werkzeug der Unterdrückung genutzt werden sollte, sondern als Quelle der Zusammenarbeit und des Wohlstands. (Robert Habeck, Kadri Simson, Dan Jørgensen, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 7.9.2022)