Vor Liz Truss belegten mit Margaret Thatcher und Theresa May bereits zweimal Frauen das Amt der Regierungschefin.

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Die Ankunft auf Schloss Balmoral war für Liz Truss wie ein Zieleinlauf als Siegerin eines Marathons. Wochenlang war sie wahlkämpfend durchs Vereinigte Königreich geeilt – nun, von Elizabeth II als Premierministerin Ihrer Majestät beauftragt, steht die Konservative endlich ganz oben auf dem Podest – nach Margaret Thatcher und Theresa May die dritte Frau im Amt.

Auch wenn der Historiker Max Hastings meint, Truss sei angesichts der schweren Aufgaben zu bedauern, genießt die neue Regierungs- und Parteichefin sichtlich den Triumph über ihren Kontrahenten Rishi Sunak und über all jene, die sie "immer belächelt und nicht recht ernst genommen" haben, wie BBC-Starmoderatorin Laura Kuenssberg analysiert.

Zielstrebig ist die 47-Jährige also; aber genauso auch wendig. So hatte sich Truss im Brexit-Wahlkampf 2016 zunächst klar für den Verbleib in der EU positioniert. Flugs aber mutierte sie zur Propagandistin eines "globalen Britanniens". Dem harten Kern englischer Nationalisten verdankt sie nun letztlich ihr Regierungsamt. Truss, die Meisterin des "U-Turn", der radikalen Richtungsänderung bei voller Geschwindigkeit.

Geradezu plakativ demonstrierte Truss ihre Verehrung für Margaret Thatchers Motto der "Freiheit": Liberty – so heißt die heute 13-jährige Tochter des Ehepaars Liz Truss und Hugh O’Leary. Die 16-Jährige heißt ein wenig konventioneller Frances.

Bruch mit dem links orientierten Elternhaus

Anfangs Liberaldemokratin, schloss sich Truss nach dem Studium in Oxford (Politik, Philosophie und Ökonomie) den Konservativen an – ein ideologischer Bruch mit ihrem links orientierten Elternhaus. Von der Mutter bekommt sie mittlerweile Unterstützung, doch für ihren Vater bleibt jede politische Diskussion mit der prominenten Tochter "schmerzhaft".

Nach Stationen als Ökonomin in der Privatwirtschaft gehörte Truss seit acht Jahren dem Kabinett an – zuletzt als Außenministerin. Im Streit mit Brüssel über das Nordirland-Regelwerk legte die Hardlinerin ein Gesetz vor, das de facto der Aufkündigung des völkerrechtlich gültigen Brexit-Vertrages gleichkommt. Gleichzeitig probte sie in der Nato stets den Schulterschluss mit den europäischen Partnern.

Times-Starkolumnist Matthew Parris beschrieb Truss als "gefährlich impulsiv und halsstarrig". Boris Johnsons abtrünniger Chefberater Dominic Cummings nannte sie gar eine "menschliche Handgranate". Nun ganz vorne in der ersten Reihe, muss sie wohl mit noch härteren Titulierungen rechnen. (Sebastian Borger aus London, 6.9.2022)