Eine Bibliothek mit viel Licht und Raum als Teil der Wohnanlage Seebogen erleichtert Begegnungen zwischen Bewohnern. Auch die Boulderhalle belebt das das neue Viertel in der Seestadt Aspern.

Foto: Hertha Hurnaus

Knallgrasgrün leuchten Stützen und Unterseite der aufgeständerten U2, und knallgrasgrün auch der Boden darunter. Der Elinor-Ostrom-Park im Quartier Am Seebogen, dem jüngsten Bauabschnitt der Seestadt Aspern, ist so etwas wie das lineare Herz des neuen Grätzels. Der oft unwirtliche Raum unter einer betonierten Hochbahntrasse wurde hier zur Aktivitätszone: Parcours, Fahrradspielplatz, Turngeräte.

Viel bewegt wurde auch auf dem Baufeld G12A, das unmittelbar an Park und U-Bahn angrenzt. Die Seestadt will keine reine Schlafstadt sein, daher wurde am Seebogen von vornherein auf Mischung gesetzt. Ein Nichtwohnanteil von 20 Prozent war hier vorgeschrieben. Eine Aufgabe, die gemeinnützigen Wohnbauträgern üblicherweise viel Kopfzerbrechen bereitet, da ihnen das unternehmerische Risiko von Handelsflächen quasi verboten ist und oft auch die Expertise fehlt.

Risiko Neuland

Noch dazu sind die Planungsabläufe im Wohnbau deutlich langsamer: Kaum ein Kleinunternehmer weiß heute schon, ob er in zwei oder drei Jahren, wenn der Bau fertig ist, einen Raum benötigt, geschweige denn, wie groß dieser sein soll. Für Unternehmer, die auf Laufkundschaft angewiesen sind, ist ein brandneues Stadtentwicklungsgebiet zusätzliches Risiko. Das Dilemma für Bauträger: Viele Kleinunternehmer zu verwalten bedeutet viel Aufwand, doch wenn ein präferierter Großmieter abspringt, steht man vor noch größeren Problemen.

Auf dem Baufeld G12A haben die Bauträger – die Neues Leben Gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft und die Gemeinnützige Siedlungs-Genossenschaft Altmannsdorf und Hetzendorf – die große Melange gewagt. Zu den 94 geförderten Mietwohnungen, 47 Smart-Wohnungen mit Superförderung, 50 geförderten Eigentumswohnungen und 45 freifinanzierten Wohnungen kamen 17 Büros, Ateliers und Geschäftslokale, eine Boulderhalle, ein WienXtra-Multifunktionsraum und eine Stadtbibliothek hinzu. Die Architektur kam von Einszueins Architektur und Tillner Willinger.

Viele Parameter

Die angestrebte Personalunion in Form von Bewohnern, die im selben Haus arbeiten, erwies sich jedoch als nicht realisierbar, nach den ersten Workshops blieb nur eine Familie übrig, die sich dafür interessierte. "Es müssen sehr viele Parameter erfüllt sein, damit die passgenaue Kombination Wohnen und Arbeiten funktioniert", sagt Andrea Breitfuss vom Planungsbüro Kon:text, das den Prozess begleitete. "Gewerbeflächen gehen in der Regel erst dann weg, wenn das Haus schon steht. Die Vergabe beginnt hier ein halbes Jahr nach dem Einzug, während die Vergabe der Wohnungen schon zwei Jahre vor dem Einzug stattfindet."

Bei den Bauherren zieht man ein Jahr nach der Fertigstellung ein ähnliches Resümee. "Als gemeinnütziger Wohnbauträger liegt unser Hauptaufgabengebiet in der Schaffung von leistbarem Wohnraum", sagt Danijel Vuković, Abteilungsleiter Neubau-Technik beim Bauträger Altmannsdorf und Hetzendorf. "Heute ist jedoch für viele EPUs und KMUs auch leistbare Gewerbefläche in unmittelbarer Nähe des Wohnortes wichtig. Daher ist ein gewisser Nutzungsmix bei größeren Bauvorhaben oder bei Quartiersentwicklungen durchaus sinnvoll."

Vuković weiter: "Die 20 Prozent Nichtwohnnutzung in der Seestadt waren jedoch eine besondere Herausforderung, da es für uns als gemeinnützigen Wohnbauträger schwierig ist, aktive Akquise und Marketing für diese Flächen zu betreiben. Die professionelle Unterstützung durch die Wien 3420 Aspern Development AG, die Betreibergesellschaft der Seestadt, war daher sehr wichtig."

Unterschiedliche Prozesse

Ideal für die Zukunft wäre, so Katharina Bayer von Einszueins Architekten, eine richtige Mischung innerhalb der Mischung. "Nur durch die fixe Kooperation mit zukünftigen Gewerbenutzern schon in der Planung war es möglich, große Flächen wie jene für die Boulderhalle in einen Wohnbau zu integrieren, die in puncto Raumhöhe, Größe und Schallschutz speziell sind. Im Gegensatz dazu sind für die kleinteiligen Gewerbeflächen nur schwer so lange vor Bezug konkrete Nutzer zu finden. Die Prozesse müssen daher je nach Größe und Raumanforderungen sehr unterschiedlich aussehen und zu unterschiedlichen Zeiten starten."

Heute funktionieren Bibliothek und Boulderhalle bestens, und Letztere belebt das neue Viertel bis in die Abendstunden. Trotz mancher Hürden ist das neue Stück Stadt in Bewegung geraten. (Maik Novotny, 8.9.2022)