Liefert Putin auch mit einem Preisdeckel weiter Gas?

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Es ist bloß eine Schätzung, und doch zeigt sie das Dilemma der Sanktions- und Energiepolitik der Europäischen Union auf. Das Centre for Research on Energy and Clean Air, ein finnischer Thinktank, hat berechnet, dass Russland mehr Geld durch den Verkauf fossiler Brennstoffe eingenommen hat, als der Ukraine-Krieg das Land im selben Zeitraum kostete.

Auf 158 Milliarden Euro belaufen sich Moskaus Einnahmen aus dem Verkauf von Öl, Gas, Kohle und Erdölprodukten seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine, heißt es in der am Dienstag vorgestellten Analyse. Dem stehen geschätzte Kriegsausgaben von rund 100 Milliarden Euro gegenüber.

Für die EU sind das schlechte Nachrichten. Die Sanktionen der Union sollten Russlands Fähigkeiten beschränken, diesen Krieg zu führen. Doch Moskaus Kriegskasse ist gut gefüllt. Und ausgerechnet die Union ist weiter Hauptabnehmer russischer Energielieferungen, noch vor China und Indien.

Größtes Exportprodukt Russlands ist Öl. Hier ringt die Gruppe der wichtigsten sieben Industriestaaten (G7) aktuell darum, Öllieferungen aus Russland zurückzudrängen. Die EU selbst hat sich bereits auf Sanktionen hier verständigt, die aber erst schrittweise greifen.

Schwerer als bei Öl tut sich die EU bei Gas. Fast ein Viertel der Einnahmen Russlands stammt aus dem Verkauf von Gas in die EU. Und hier profitiert Moskau nicht nur von hohen Preisen. Russland hat seine Gaslieferungen verknappt und damit grobe Verwerfungen auf Europas Energiemärkten ausgelöst.

Die EU-Kommission unternimmt einen neuen Befreiungsversuch aus dieser vertrackten Situation. Seit dieser Woche kursiert je ein Diskussionspapier der Kommission und der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, in denen diverse Vorschläge diskutiert werden, um die Energiemärkte nachhaltig zu beruhigen. Mit auf dem Tisch liegt dabei die Idee, einen Preisdeckel für Gas einzuziehen. Bereits am Montag twitterte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass es an der Zeit ist, den Preis für russisches Gas mit einer Obergrenze zu versehen.

Abfackeln oder verkaufen?

Was genau ist damit gemeint, und wie stehen die Erfolgsaussichten dafür? Eine Obergrenze beim Gaseinkauf bedeutet, dass die EU-Länder vereinbaren würden, russisches Gas nur noch zu einem festgesetzten Preis einzukaufen, der deutlich unter den aktuellen Werten liegen würde. Die große Frage wäre dann, wie Russlands Staatschef Wladimir Putin reagiert. Ökonomen wie der Chef des Forschungsinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr, favorisieren so ein Vorgehen schon länger. Statt ständig Getriebener der russischen Gaspolitik zu sein, würde die EU endlich selbst die Zügel in die Hand nehmen.

"Das Risiko ist natürlich, dass Russland in der Folge seine Gaslieferungen ganz einstellt. Allerdings hat Russland keine Alternative, an wen es dieses Gas verkaufen kann", sagt Walter Boltz, früherer Chef der Regulierungsbehörde E-Control, der aktuell das Klimaschutzministerium in Energiefragen berät. "Am Ende läuft es also auf die Frage raus: Fackelt Russland sein Gas lieber ab, als es billiger nach Europa zu verkaufen?" Solange die Preisgrenze über den Produktionskosten für das Gas liegt, hätte Moskau im Prinzip noch Interesse, weiterhin zu liefern, sagt Ingmar Schlecht vom Center of Energy and Environment der Züricher Hochschule ZHAW.

Der Vorschlag eines Preisdeckels soll diesen Freitag beim Treffen der Energieminister diskutiert werden. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass schon eine Entscheidung getroffen wird, sagen Insider. Die Interessenlage sei nämlich zu unterschiedlich: Staaten wie Polen beziehen kein Gas mehr aus Russland, haben nichts zu verlieren. Für Österreich und Deutschland ist das anders: Putin mag Nord Stream 1 abgedreht haben. Über die Transgas-Pipeline aus Russland via Ukraine fließt aber noch Gas.

Allerdings schon deutlich weniger als vor der aktuellen Krise: Eine Datenauswertung des Neos-Lab, der Parteiakademie der Pinken, zeigt, dass aktuell um gut 80 Prozent weniger Gas aus Russland kommt als noch vor einem Jahr. Die EU ist also bei der Diversifizierung schon recht weit.

Die EU-Kommission lanciert dennoch auch andere Vorschläge für einen Gaspreisdeckel. Eine Idee lautet, zunächst nicht den Preis für russisches Gas direkt zu begrenzen, sondern an der europäischen Gasbörse einen Höchstpreis festzulegen. Gas wird in Europa über eine eigene Börse gehandelt, die Title Transfer Facility. Das ist ein virtueller Marktplatz, der Börsenbetreiber sitzt in den Niederlanden.

Neue Probleme auf den Märkten

Hier sind es Lieferanten von nichtrussischem Gas, die Produkte verkaufen, etwa norwegische Erzeuger oder Flüssiggasanbieter.

Weil Gas knapp geworden ist, sind die Börsenpreise explodiert, von 35 Euro je Megawattstunde vor einem Jahr auf aktuell über 250 Euro – das ist eine Versiebenfachung.

Nun schließen Gasversorger wie die OMV langfristige Verträge mit Russland. Aber der Marktpreis dient als Referenz, beeinflusst also auch diese langfristigen Preise mit. Sprich ein limitierter Börsenpreis würde Kosten für dort gehandeltes Gas deckeln, hätte damit aber auch einen Effekt auf Gas aus Russland.

Aber derzeit existiert kein Vorschlag ohne mögliche Nebenwirkungen. Ein künstlicher Eingriff am Gasmarkt würde Energieunternehmen in Turbulenzen bringen, sagt Boltz.

Wien Energie musste Geld nachschießen, weil der Strompreis so stark gestiegen ist. Am Gasmarkt gelten ähnliche Spielregeln: Bei fallenden Preisen treffen diese Nachschussverpflichtungen Unternehmen, die Gas im Vorhinein teuer eingekauft haben, es dann aber wegen des Preisdeckels nicht mehr verkaufen könnten. Außerdem: Der hohe Preis sorgt dafür, dass viel Gas aus anderen Ländern nach Europa kommt. Ein Preiseingriff könnte das ändern.

Und auf dem Tisch liegt weiterhin eine Minimalvariante eines Gaspreisdeckels: Dabei würden die EU-Staaten jenen Unternehmen, die mit Gas Strom erzeugen, Zuschüsse gewähren. Einen solchen Preisdeckel hat schon Spanien eingezogen, er dient dazu, die Kosten für Strom zu senken, nicht für Gas. Ideen gibt es also genug. (András Szigetvari, Nicolas Dworak, 6.9.2022)