Ich muss diese Geschichte erzählen. Und wenn nur einer ins Krankenhaus geht, der sonst nicht daran gedacht hätte, ist es das wert. In den ersten Stunden kann man einiges reparieren, danach wird es komplizierter. Ich will Bewusstsein schaffen. Es trifft auch Menschen, bei denen man es nicht erwarten würde. Man kann jung sein, auf seinen Lebensstil achten, und trotzdem kann es passieren. Mir ist es passiert. Ich war in Peru auf Urlaub. Und ich hatte einen Schlaganfall.

Am 11. August nahm das Leben von Katrin Beierl eine Wende. Die zweifache Olympiateilnehmerin erlitt einen Schlaganfall.
Foto: Sportland Niederösterreich

Mein Name ist Katrin Beierl. Ich bin 29 Jahre alt und Bobfahrerin. Ich war zweimal bei Olympischen Spielen und habe gemeinsam mit Jennifer Onasanya 2021 den Gesamtweltcup im Zweierbob gewonnen. Mein Vater war Militärweltmeister im Hammerwurf, meine Mutter 1988 als Weitspringerin bei Olympia. Die Urkunde aus Seoul hing bei uns auf der Toilette, ich habe sie jeden Tag gesehen. Ich bin auf dem Leichtathletikplatz aufgewachsen, ich wollte auch zu den Spielen. Irgendwann bin ich im Schlitten gesessen.

Die vergangene Saison war aufreibend. Ich wollte mir eine Auszeit gönnen, bevor es vier Jahre volle Kanone Richtung Olympia geht. Ich hatte drei Wochen Urlaub in Peru geplant, war zehn Tage im Amazonas unterwegs. Ich habe viel geschlafen, viel gelesen, wollte nur runterkommen. Kein Handyempfang, nichts. Ich bin in die Anden geflogen, wollte Machu Picchu besuchen. Bis nach Cusco habe ich es geschafft. 24 Stunden nach der Landung habe ich etwas ferngesehen. Plötzlich war mein halbes Blickfeld weg.

Keine Sorgen

Sehstörungen sind für mich nichts Ungewöhnliches. Seit ich zwölf Jahre alt bin, lebe ich mit Migräne und visuellen Symptomen. Ich war also nicht beunruhigt. Auch der taube linke Arm machte mir keine Sorgen. Ich nahm eine Tablette gegen die Kopfschmerzen und ging schlafen – in der Annahme, dass sich am Morgen alles erledigt hätte. Aber so war es nicht. Mein Zustand am nächsten Tag war unverändert.

Hatte mir die Meereshöhe zugesetzt? Mir schien das nicht undenkbar. Cusco liegt über 3000 Meter. Ich bin nach Aguas Calientes aufgebrochen, das liegt niedriger, und habe eine Ärztin aufgesucht. Sie verabreichte mir eine Infusion. Aber es wurde nicht besser. Ich tat, was die meisten Menschen in so einem Fall tun. Ich warf Google an. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mir ernsthafte Sorgen gemacht.

Mit Partnerin Jennifer Onasanya gewann Beierl 2021 den Gesamtweltcup im Zweierbob.
Foto: APA/AP/Schrader

Meine Eltern halfen mir, alles umzubuchen, ich konnte am folgenden Tag abreisen. Mit dem Zug drei Stunden von Aguas Calientes nach Cusco. Von Cusco nach Lima in einem kleinen Flieger. Von Lima nach Paris und weiter nach Österreich. Ich war 30 Stunden auf dem Weg. Ich habe keine Ahnung, wie ich das allein geschafft habe. Ich war komplett fertig, am Ende. Ich konnte fast nicht schlafen, vielleicht zwei Stunden pro Tag, ich bin in Menschen reingelaufen. Ich war nur noch froh, im Flugzeug nach Wien zu sitzen.

Zwei unbemerkte Schlaganfälle

Mir ist dann allmählich gedämmert, dass es ein Schlaganfall sein könnte. Und um ehrlich zu sein, bei den möglichen Alternativen habe ich sogar ein wenig darauf gehofft. Die Untersuchungen im AKH wurden schnell abgearbeitet, ich wurde gut betreut. Nach der Magnetresonanz hat es gedauert, bis ich zum Gespräch geholt wurde. Da konnte man sich bereits denken, dass nicht alles in Butter ist. Diagnose: Schlaganfall. Nicht gerade eine Wunschvorstellung, aber damit kann ich leben. Meine Eltern waren fertiger als ich.

Es war nicht mein erster Schlaganfall, es war der dritte. Das sieht man auf den Bildern. Die ersten beiden hatte ich gar nicht bemerkt. Man kann auch nicht sagen, wann die passiert sind. Es muss auf jeden Fall schon länger her sein. Vielleicht war es im Winter, als ich mal schlechter gefahren bin – das wäre wenigstens eine gute Ausrede. Die Ursache für die Schlaganfälle ist nicht ganz klar, ein Zusammenhang mit der Migräne ist laut den Neurologen aber nicht unwahrscheinlich.

Zwei Drittel meines linken Gesichtsfeldes flimmern permanent. Das ist unpackbar anstrengend. Der Wunsch nach meinem alten, normalen Leben ist da. Aber was ist schon ein normales Leben? Ich kann für mich sorgen, fange wieder mit dem Training an. Ich brauche den Sport, sonst gehe ich ein. Ich bin körperlich fit, ich muss nicht fit für den Bob sein. Ich werde diese Saison nicht fahren. Sonst müsste ich in jedem Training an meine Grenzen gehen. Aber ich brauche Ruhe.

Ob sie jemals wieder in einen Bob einsteigt? "Ich werde alles dafür tun, aber ich werde nichts erzwingen."
Foto: Reuters/Thomas Peter

Keine Jammerei

Ob ich jemals wieder in den Bob steige? Ich sehe das mit einer gewissen Gelassenheit. Ich werde alles dafür tun, aber ich werde nichts erzwingen. Ich konnte zehn Jahre lang meiner Leidenschaft nachgehen. Ich habe diese Zeit immer zu schätzen gewusst. Dann sind es eben nur zehn und nicht vierzehn Jahre. Eine Karriere im Profisport hat ohnehin ein Ablaufdatum. Niemand kann sagen, ich hätte nichts erreicht. Ich könnte in Frieden abschließen.

Ich will nicht jammern, ich will nicht traurig klingen. Ich war auch nie völlig niedergeschlagen. Nur ein Arzt hat mich runtergezogen. Der Mann war richtig negativ. Da habe ich eine Stunde lang geweint. Wenn man mit 29 einen Schlaganfall hat, ist man verletzlich. Da wünscht man sich ein wenig Empathie. Aber ich bin nicht der ärmste Mensch der Welt. Ich habe auf der Neurologie Betroffene gesehen, die es deutlich schlimmer erwischt hat.

Warum ich? Diese Frage bringt mich nicht weiter. Es ist, wie es ist. Ich kann es nicht ändern. Ich kann nur schauen, dass es besser wird. Ich muss wieder aufstehen, neue Pläne schmieden. Ich habe noch ein paar Prüfungen in meinem Studium offen, ab Oktober gebe ich auf der Uni Vollgas. Das Leben geht weiter. Und denkt daran: Wenn eine Lähmung auf einer Körperseite eintritt, wenn eine Sprach- oder Sehstörung auftritt, wenn es zu einer Gleichgewichtsstörung kommt, dann handelt schnell und ruft die Rettung. Ganz egal wie alt der Betroffene ist. (Protokoll: Philip Bauer, 7.9.2022)