Die Eltern der heute vierjährigen Minna haben auf finanzielle Absicherung ihrer Tochter geklagt. Ein Ende des Gerichtsverfahrens ist nicht in Sicht.

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Minna muss noch länger warten. Das vierjährige, schwerst behinderte Mädchen mit Pflegestufe sieben steht im Zentrum eines Prozesses am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien – genauer gesagt geht es dort um die Vorkommnisse während ihrer Geburt. Es war am 17. August 2018 um 21.44 Uhr, als Minna in der Privatklinik Döbling in Wien zur Welt kam, mit der Nabelschnur um den Hals und "avital", wie es in einem Gutachten heißt. Das Baby wurde wiederbelebt, kam in die Intensivstation des AKH, bei der Geburt sei wohl "etwas schief gegangen", meinten die Ärzte dort und empfahlen Mutter und Vater Eltern rechtliche Schritte.

Minna und ihre Eltern haben Geburtshelfer K. und seinen Haftpflichtversicherer, die Donau Versicherung, 2020 mangels außergerichtlicher Einigung geklagt. Es steht Aussage gegen Aussage: Der Gynäkologe sagt aus, Minnas Mutter habe, als die Herztöne des Babys immer schlechter wurden und er zum Kaiserschnitt geraten habe, Selbigen abgelehnt. "Keine Sectio!" habe sie gerufen.

Hebamme hat nichts gehört

Minnas Mutter und Vater bestreiten das, der Arzt habe sie auch nicht auf den Ernst der Lage hingewiesen. Das bestätigte der indirekt. Er habe nicht darauf aufmerksam gemacht, dass das Kind sterben oder schwerstbehindert sein könnte, wenn es nicht per Kaiserschnitt geholt würde, "das wäre unfair gewesen", meinte er vor Gericht. Die Hebamme, die jüngst einvernommen wurde, berief sich auf den Arzt: Er habe sie informiert, dass die Gebärende einen Kaiserschnitt ablehne, gehört habe sie das von ihr nicht.

Das juristische Problem hinter der menschlichen Tragödie: Der Haftpflichtversicherer, der bis fünf Millionen Euro gerade steht, geht davon aus, dass es zu einem "Deckungskonkurs" kommt – dass diese Summe also nicht ausreicht für Minnas Absicherung. In dem Fall müsste, wenn die Kläger durchkommen, der Arzt mitzahlen – was der vermeiden will. Die Versicherung will die Causa ausjudizieren: Sie könne nicht einfach zahlen, disponiere sie doch über fremdes Geld, lautet sinngemäß das Argument ihres Anwalts, Herbert Salficky.

Gutachter sieht Kunstfehler

Seit 18. Juli liegt nun das aktuelle Gerichtsgutachten eines Kinderarztes vor. Demnach leide Minna an einer schweren geistigen Entwicklungsverzögerung, werde sich nie selbstständig versorgen, nie einen Beruf ausüben, nie ein partizipatives Leben führen können. Ihr Leben lang werde sie der Pflege, Heilmittel, Betreuung und Therapien bedürfen. Wie alt Minna werden wird? Es sei "anzunehmen, dass Minna das Jugend- bzw. Erwachsenenalter erreichen" werde.

Den Kausalzusammenhang zwischen Minnas Zustand und den Stunden vor ihrer Geburt stellt der gynäkologische Gerichtsgutachter her. Er kommt in seinem "abschließenden" Gutachten von Juni zum Ergebnis, ein Kaiserschnitt sei "spätestens um 19.30/19.50 Uhr angezeigt" gewesen. Dass man bis zum Einsatz der Saugglocke fast zwei weitere Stunden vergehen ließ, sei nicht nachvollziehbar. Das Vorgehen des Arztes sei "nicht lege artis" erfolgt, also ein Kunstfehler. Was der Arzt bestreitet. Minnas Kinderärztin hält in einem Privatgutachten fest, dass ihre Patientin nie sprechen, spielen, greifen, sitzen, stehen, essen können werde. Die Medizinerin zur Lebenserwartung Minnas: 30 bis 40 Jahre.

Lebenserwartung 81 Jahre?

Die Donau Versicherung geht bei ihren Berechnungen für die Absicherung Minnas aber von einer ganz anderen Prämisse aus. Sie setzt ihre Lebenserwartung bei 80,87 Jahren an – und kommt so auf Kapitalforderungen Minnas für Dinge wie Heilbehelfe oder Pflege von 3,35 Millionen Euro und auf Rentenforderungen von 3,3 Millionen Euro. Weil sich das mit der Haftungssumme von fünf Millionen Euro nicht ausgeht, müsse Doktor K. rund 60 Prozent dieser Rentenforderungen tragen. Der Versicherer rechnet da allein 350.000 Euro für Gerichts- und Sachverständigenkosten ein – geht also von einem jahrelangen Rechtsstreit aus. Minnas Eltern bemühen sich, wie berichtet, um eine außergerichtliche Einigung.

Ihre Rechtsanwältin Astrid Hartmann wendet anhand des Gutachtens ein, dass man nicht mit einer Lebenserwartung von fast 81 Jahren rechnen könne, sondern nur mit der Hälfte – und die fünf Millionen Euro daher ausreichen und der Arzt nicht mitzahlen müsste. Ein Argument, das der Haftpflichtversicherer nicht teilt: Die medizinische Forschung werde in den nächsten 30 bis 40 Jahren Fortschritte machen, zudem entspreche diese Berechnungsgrundlage der höchstgerichtlichen Judikatur.

Gerichtsverfahren "leider alternativlos"

Die Sache wird also noch dauern. Rechtsanwalt Salficky ließ die Klagsführenden jüngst wissen, man bedaure, dass die gerichtliche Abklärung, besonders zur Frage eines Deckungskonkurses, wohl noch Zeit in Anspruch nehmen werde, dieses Procedere sei aber "leider alternativlos". Die Donau Versicherung bedaure das entstandene menschliche Leid und sei bereit, eine zweite Akonto-Zahlung zu leisten.

Auf alle anderen Entscheidungen wird Minna noch warten müssen. Derzeit ist kein neuer Verhandlungstermin anberaumt. (Renate Graber, 9.9.2022)